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Schritt für Schritt weg von der Essstörung

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Jahrelang hatte Lea S. (Name geändert) scharf an der Kante zum Abgrund gelebt, doch sie schaffte es, dass ihre Essstörung nicht ganz von ihr Besitz ergriffen hat. Irgendwann schien das Problem gar verschwunden – bis sie schwanger wurde. «Plötzlich poppte das Thema wieder auf», erzählt Shima Wyss, leitende Ernährungsberaterin mit Schwerpunkt Essverhaltensstörungen am Spital Zofingen. Lea S. war verunsichert und fühlte sich im Dilemma: Sie hatte grosse Mühe damit, dass sie an Gewicht zunahm, gleichzeitig wollte sie für ihr Kind aber nur das Beste. Was also tun? In ihrer Not wandte sie sich an das Kompetenzzentrum für Essverhalten, Adipositas und Psyche (KEA), das zum Spital Zofingen gehört.

Am KEA wird Vernetzung gross geschrieben

Auch Kevin M. (Name geändert) hat schwierige Monate hinter sich. Der Teenager war schon vorher nicht sehr kontaktfreudig, aber die Corona-Pandemie machte ihn einsam. Er traf sich nicht mehr mit Freunden, isolierte sich zusehends, sass fast nur noch zu Hause herum. Und er nahm übermässig zu. Ein Teufelskreis. Irgendwann zog der Kinderarzt in Absprache mit den Eltern die Notbremse und überwies ihn ans KEA.

«Damit war er bei uns an der richtigen Stelle», sagt Shima Wyss. Das KEA mit seinen rund 28 Mitarbeitenden hat sich weit über seinen Standort hinaus einen Namen gemacht. Zwischen 800 und 1000 Patientinnen und Patienten befinden sich stets gleichzeitig am Kompetenzzentrum in Behandlung – stark Übergewichtige, Menschen mit «klassischen» Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie, psychiatrische Patienten, die unter anderem wegen der Medikamente übermässig zugenommen haben, adipöse Diabetiker, Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten sowie generell alle, die ein Essproblem haben. Dass die Themenbereiche Essverhaltensstörungen und Adipositas zusammen unter einem Dach angeboten werden, ist aussergewöhnlich, ja einmalig, passt aber zur Philosophie des Hauses, in dem Vernetzung grossgeschrieben wird.

Nicht wenige der Patientinnen und Patienten haben eine lange Karriere von gescheiterten Behandlungsversuchen hinter sich, die nur auf den schnellen Erfolg aus waren. «Wer zu uns kommt, muss lernen, dass es bis zur Problemlösung viele Schritte braucht», macht KEA-Chefärztin Bettina Isenschmid klar. Die ausgebildete Psychiaterin und Psychosomatikerin von internationalem Ruf ist Mitbegründerin des Kompetenzzentrums, das vor zwölf Jahren seine Tore geöffnet hat und seit seinen Anfängen auf einen interdisziplinären Behandlungsansatz setzt.

Davon ausgehend, dass zahlreiche Faktoren am Beginn einer Essstörung oder einer übermässigen Gewichtszunahme stehen, werden Spezialistinnen und Spezialisten aus Medizin, Psychotherapie, Physiotherapie, Körperwahrnehmungstherapie und Ernährungsberatung in den Genesungsprozess einbezogen. Dabei gilt es die verschiedenen Mosaiksteinchen zu einem Ganzen zusammenzufügen. «Dieses vernetzte Arbeiten braucht Zeit, ist dann aber auch erfolgversprechender», sagt Bettina Isenschmid. Mindestens zwei Jahre dauert etwa das Einzelprogramm für Menschen mit Adipositas und Essstörungen, was aber nur auf den ersten Blick wirklich lang erscheint. «Wir hören immer wieder von Patientinnen und Patienten, die es nicht fassen können, dass die zwei Jahre schon vorbei sind – jetzt, wo sie doch allmählich begreifen würden, was sich wirklich alles hinter ihrem Problem verbirgt.»

Das ganze Umfeld der Betroffenen wird einbezogen

Bei Kevin M. ist es allerdings noch nicht soweit. Er ist weiterhin in Behandlung. «Wäre es so einfach», sagt Shima Wyss, «hätte er ja nicht zu uns kommen müssen.» Er wird behutsam unterstützt, eigene Lösungswege für mehr Bewegung im Alltag zu entdecken. Für die Badi beispielsweise sei es gemäss dem Patienten noch zu früh gewesen. «Also versuchen wir gemeinsam nach geeigneten Möglichkeiten zu suchen, wie er die Alltagsbewegung steigern kann.» Wichtig sei auch, dass man die Eltern ins Boot hole und sie darin bestärke, einfach nur Eltern sein zu dürfen – und nicht Ernährungspolizisten spielen zu müssen. «Es ist überhaupt wichtig», ergänzt Bettina Isenschmid, «dass man mit der ganzen Familie oder dem engeren Umfeld eines Betroffenen systemisch arbeitet.» Oft hätten etwa die Eltern bei der Arbeit oder in der Beziehung selber gewichtige Probleme. Das müsse man bei einer Therapiebehandlung einbeziehen.

Lea S. ist ebenfalls weiterhin im KEA in Behandlung. Ihr Kind ist zwar gesund auf die Welt gekommen, der Genesungsprozess damit aber noch nicht abgeschlossen. Auch für sie gilt: Alles braucht seine Zeit.

Andreas W. Schmid

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Dr. Bettina Isenschmid (links) ist Chefärztin am KEA. Sie ist ausgebildete Psychiaterin und Psychosomatikerin. Shyma Wyss ist leitende Ernährungsberaterin mit Schwerpunkt Essverhaltensstörungen am Spital Zofingen. Bilder: zvg

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