Jeder zweite jüngere Mann bezeichnet sich als Feminist
Wann ist ein Mann ein Mann? Darauf haben in der Schweiz vor allem die Senioren eine Antwort. Fast die Hälfte der über 65-Jährigen haben meistens eine klare Vorstellung von Männlichkeit, dazu kommt ein weiteres Drittel, das immer eine klare Ansage dazu machen kann.
Das Selbstverständnis der älteren Schweizer ist also gefestigt, nur ganz wenige brüten über der Frage, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Deutlich anders sieht es bei den Männern unter 35 Jahren aus: Nur jeder zehnte hat immer und knapp ein Drittel meistens eine klare Vorstellung davon, was einen Mann ausmacht.
Die Geschlechtsidentität der Männer ist im Umbruch. Das zeigen auch weitere Resultate der Studie «annabeau», welche die Zeitschrift «annabelle» beim Forschungsinstitut Sotomo in Auftrag gegeben hat. 1363 Männer aus der Deutschschweiz geben dabei Auskunft über ihre Wünsche im Job, in der Partnerschaft oder im Bett. Was auffällt: Zwischen den Generationen herrscht oft keine Einigkeit. «Bei sehr vielen Fragen stellen wir Unterschiede zwischen den Altersgruppen fest», sagt Studienautorin Sarah Bütikofer.
Jüngere Männer wünschen sich eine Elternzeit, ältere lehnen diese ab
Das zeigt sich etwa beim Thema Vaterschaftsurlaub. Die Bedeutung der Kinderbetreuung und der Vaterrolle nimmt bei jüngeren Männern zu: Fast 70 Prozent der Befragten unter 35 Jahren befürworten die Elternzeit und nur fünf Prozent sind der Meinung, dass es sich dabei nicht um eine Staatsaufgabe handelt.
Anders bei den Senioren, sie verteidigen das bestehende Modell: Nur 14 Prozent von ihnen spricht sich für die Elternzeit aus und 39 Prozent ist der Ansicht, dass diese nicht durch den Staat finanziert werden soll. «Vor allem jüngere Männer, welche die Elternschaft noch vor sich haben, wünschen sich mit der Elternzeit ein Modell, wie es in Deutschland oder Skandinavien praktiziert wird», sagt Bütikofer.
Feminismus hat sich in die Mitte der Gesellschaft verschoben
Auch in der Selbstzuschreibung als Feminist sind die Deutschschweizer Männer gespalten: Die Hälfte der Männer unter 35 Jahren bejahen dies, bei den Senioren sind es hingegen nur noch rund zwanzig Prozent. Erstaunlich ist, dass insgesamt fast jeder dritte Mann die Frage mit einem klaren Ja oder eher Ja beantwortete.
Der Feminismus hat sich somit aus der verpönten Nische in die Mitte der Gesellschaft verschoben – wenngleich es mit der Umsetzung nach wie vor stark hapert. Entsprechend beurteilen die Hälfte der Männer die Debatte über die Gleichberechtigung als (sehr) wichtig. Der Generationengraben zeigt sich auch hier: Jüngere Männer befürworten die Geschlechterdebatte fast doppelt so häufig wie die älteren.
Bei den Frauen wird in diesem Zusammenhang vom Emma-Watson-Effekt gesprochen: Der Schauspielerin wird dabei zugute gehalten, dass sie aufgrund ihres Engagements für Frauenrechte und gegen Sexismus viele junge Frauen für diese Themen sensibilisiert hat. Die Studie zeigt, dass das feministische Selbstverständnis auch vor jüngeren Männern nicht Halt machte. «Sie sind progressiv bei gleichgeschlechtlichen Fragen. Die letzten Jahre sind nicht am Mann vorbeigegangen», sagt Sven Broder, annabelle-Redaktor und Mitglied der Chefredaktion.
Die Hälfte der Männer möchte weniger arbeiten
Doch was bedeutet das für die Vereinbarkeit konkret? Erwartungsgemäss gibt die Mehrheit der Befragten an, hochprozentig zu arbeiten. Mit durchschnittlich 70 Prozent verdienen sie den Grossteil des Familien- oder Paareinkommens. Das ist eine Verantwortung, die vor allem jüngere Männer immer mal wieder als Last empfinden. Bei den Älteren trifft dies kaum zu, wobei es zu berücksichtigen gilt, dass die allermeisten von ihnen AHV beziehen.about:blank
Wer noch arbeitet, möchte häufig weniger Zeit im Job verbringen: Die Hälfte aller befragten Männer wünscht sich, das Pensum zu reduzieren. Das klappt gemäss ihren Angaben allerdings nicht, weil es die beruflichen Umstände oder die finanzielle Verantwortung nicht zulassen. Interessanterweise besteht hierbei fast kein Unterschied, ob die Befragten Kinder haben oder nicht. Das Privatleben scheint daher tendenziell an Wichtigkeit zu gewinnen.
Dazu passt, dass rückblickend knapp ein Drittel der Männer – insbesondere jene zwischen 35 und 64 Jahre – der Meinung ist, zu viel Zeit im Job verbracht zu haben. Jüngere Männer finden eher, dass sie zu viele Stunden verschwendet haben, anderen zu gefallen oder sich zu entschuldigen. Das sind genau die zwei Punkte, welche die Frauen in der Studie «annajetzt» – dem weiblichen Pendant zur Männerstudie – im Frühling am häufigsten in diesem Kontext genannt haben.
Der Vater arbeitet Vollzeit, die Mutter Teilzeit: das gilt als ideal
Trotz der Wünsche: Am Rollenbild ändert sich kaum etwas. Das modernisierte traditionelle Familienmodell erachten die Deutschschweizer Männer als ideal. Das heisst: Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau Teilzeit. «Das widerspiegelt die gelebte Realität», sagt Studienautorin Sarah Bütikofer. Allerdings geben die Männer an, dass als Vollzeit idealerweise ein 80-Prozentpensum gelten würde. Verkürzt gesagt: Ein Papi-Tag muss sein. Als ideales Arbeitspensum für die Mütter erachten die Befragten eine 50-Prozentstelle.
50:80 – exakt diese Aufteilung gaben auch die befragten Frauen in der «annajetzt»-Studie an. Ebenfalls deckungsgleich ist der Wunsch der jüngeren Generation, die eine 60:70-Aufteilung präferiert und somit der Gleichstellung deutlich näher kommt. Die beiden Studien zeigen jedoch auch Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf: Männer, die bereits Teilzeit arbeiten, erachten ein 60-Prozentpensum sowohl für Vater und Mutter als ideal, während Frauen in Teilzeitjobs das 50:80-Modell bevorzugen.
Die Mehrheit der Männer ist mit dem Sexleben nicht zufrieden
Die Studienautorinnen und -autoren interessierten sich nicht nur für die Rollenbilder der Männer, sondern fragten sie auch ganz konkret: Wie geht den Schweizer Männern heute? Aus den Antworten lässt sich zusammenfassen: Grundsätzlich sind sie zufrieden – ausser im Bett.
Nur ein Viertel ist mit seinem Sexleben erfüllt. Obwohl auch hier Unterschiede zwischen den Altersgruppen bestehen: Bemerkenswert ist, dass dies selbst bei den Jüngeren nur auf ein Drittel zutrifft. Im Schnitt wünschen sich denn auch vier von zehn Männern mehr Sex. Das ist ein Unterschied zu den Frauen: Nur zwei von zehn wünscht sich das ebenfalls. Dafür gaben mehr Frauen an, ihre Sexualität so auszuleben, wie sie das wollen.
Ein grosser Unterschied zwischen den Geschlechtern zeigt sich beim Pornokonsum. Während nur fünf Prozent der Männer unter 35 angibt, sich nicht dafür zu interessieren, sind es bei den Frauen im gleichen Alter rund 44 Prozent. Im Schnitt erachtet denn auch jede Dritte Pornografie als frauenfeindlich.
Anders die Männer, sie nutzen die Sexindustrie: Mit zunehmendem Alter bestätigen die Befragten, für Sex schon einmal bezahlt zu haben. Insgesamt gingen 42 Prozent der Befragten mindestens einmal in ihrem Leben zu einer oder einem Prostituierten.