Die Schweiz im Märliland: Die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Katar ist Tatsache
Es ist kaum zu beschreiben, was sich in Luzern in der zweiten Halbzeit abspielt. Während den zweiten 45 Minuten und nach dem Schlusspfiff, nach dem sich im Tollhaus Swissporarena alle Schweizer Protagonisten in den Armen liegen, und mit ihnen die 14’300 Zuschauer völlig aus dem Häuschen sind. Sie alle feiern das, was man ihnen nach der Auslosung auf direktem Weg nicht zugetraut hat. Die Teilnahme an der WM in Katar im nächsten November/Dezember.
Die entfesselt aufspielende Mannschaft von Trainerfuchs Murat Yakin fängt mit dem 4:0 gegen Bulgarien den Europameister Italien noch auf der Zielgeraden ab, das in Nordirland nicht über ein 0:0 hinauskommt. Und damit abermals in Belfast nach 1958 in einer WM-Qualifikation stolpert. Die prächtigen Tore von Okafor (48.), Vargas (57.), des eingewechselten Itten (72.) und von Freuler in der Nachspielzeit sind für die Schweizer die Eintrittskarte zur Beletage der WM-Teilnehmer, zu der sie nun zum fünften Mal in Serie gehören. Sie tun dies ohne Niederlage, vor allem aber mit zwei Punkten Vorsprung in der Endabrechnung. Es ist ein Husarenstück – oder vielleicht das Wunder von Luzern.
Blitzstart in der zweiten Halbzeit
Möglich gemacht hat dieses Fussballwunder der so sehr herbeigesehnte Blitzstart. Der zwar nicht wie im Idealfall der ersten, aber nun der zweiten Halbzeit entspringt. Der unglaublich starke Shaqiri flankt von der Grundlinie butterweich auf Okafor, und der neue Shootingstar der Schweiz köpfelt den Ball herrlich ins Tor. 1:0 steht es jetzt endlich, und der Treffer in der 48.Minute ist der Dosenöffner für die Dinge, die da noch kommen sollen.
Sieben Minuten später bleibt der nächste Torjubel den frenetischen Fans im Halse stecken, denn Shaqiri trifft in seinem 100. Länderspiel nach einem wunderbaren Angriff der Schweizer nur den Pfosten. Nur drei Minuten später können die 14300 Kehlen den Jubel nachholen: Der starke Vargas fackelt aus kurzer Distanz nach einem Pass von Gavranovic nicht lange und trifft aus dem Lauf voll in den Winkel. 2:0, das fühlt sich für die Schweizer gut an, nicht aber für die Italiener.
Es kommt noch besser, Gavranovic trifft in der 64. Minute zum 3:0, und jetzt sind alle aus dem Häuschen, nur der VAR nicht; er hat zurecht eine Abseitsposition gesehen. Die Schweizer glauben weiter an sich, mit ihnen wittert das Publikum eine Sternstunde des Schweizer Fussballs. Yakin wirft alles in die Waagschale, bringt die frischen Kräfte Itten und Steffen für Gavranovic und Okafor. Schnell kommt es zum Déja-vu, Itten trift – wieder zählt der Treffer nicht. Das lässt sich Itten nicht gefallen, und Sekunden später ist er nach einer Steffen-Flanke wieder zur Stelle, 3:0. Freulers Tor in der Nachspielzeit ist dann nur noch das wunderbare i-Tüpfelchen.
Vergebene Chancen in der ersten Hälfte
Die Hypothek aus den bisherigen sieben WM-Qualifikationsspielen ist längst wettgemacht, und auch die Frage weggewischt, wann denn die Schweiz aus dem Belagerungszustand endlich Zählbares macht. Zumal man bei all den Rechnereien über notwendige Mindesthöhen eines Schweizer Sieges vergessen hat: Da gibt es ja auch noch einen Gegner auf dem Platz, der nichts zu verlieren hat. Und sich in der Spielverderberrolle in der ersten Halbzeit ganz gut gefällt, in welcher sich die Schweiz das Nervöse und Hektische trotz 12:0 Cornern schon das eine oder andere Mal hat anmerken lassen müssen. Und der glänzend aufgelegte Vargas, Okafor oder auch Gavranovic gute Chancen vergeben.
Doch das alles spielt an diesem Abend keine Rolle, vielmehr ist es für den Rahmen stimmig, dass Lichtsteiner, Mehmedi und Djourou für ihre Karrieren in der Nationalmannschaft geehrt werden. Und Shaqiri, der Captain, nun zum erlauchten Hunderterklub angehört wie nur noch Hermann (118 Länderspiele), Geiger (112), Lichtsteiner (108) und Chapuisat (103).