Nach Eskalation um Covid-Gesetz: SP-Chef Wermuth will mit neuer Kommission Lügen in Politkampagnen Riegel schieben
«Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit.»
Hiram Warren Johnson, kalifornischer Gouverneur 1911-1917
Im Krieg gehört Desinformation so selbstverständlich zum Waffenarsenal wie die Artillerie und Luftwaffe. Um beim Feind Zwietracht zu säen oder die eigene Gefolgschaft aufzuhetzen. In Friedenszeiten schrecken auch Diktatoren und autoritäre Regime nicht davor zurück. Man braucht aktuell nur nach Weissrussland oder noch weiter in den Osten zu schauen.
Doch auch in Demokratien ist der Grat schmal. Was ist noch legitime Zuspitzung eines Arguments, wo beginnt die Lüge?
In der Schweiz akzentuiert sich diese heikle Frage gerade im aktuellen Abstimmungskampf zum Covid-Gesetz, über das am Sonntag entschieden wird.
Während die Gegner den Bund mit Beschwerden eindecken, weil die Abstimmungsfrage irreführend sei und nicht explizit auf das Zertifikat hingewiesen werde, kritisieren Befürworter, die Kampagnenführer gegen das Covid-Gesetz würden «systematische Desinformation» betreiben. So formuliert es Cédric Wermuth. Der SP-Co-Präsident nennt als krassestes Beispiel den Plakatslogan: «Impfzwang für alle? Extrem und unnötig Covid-Verschärfung Nein!» Fakt ist: Im Gesetz, über das abgestimmt wird, geht es nicht annähernd um eine Impfpflicht.
Auch die Behauptung, der Bundesrat erhalte mit dem Gesetz die Macht, bis 2031 das Parlament auszuschalten, sei «180 Grad in die Unwahrheit verdreht». Genauso wie die Unterstellung, das Zertifikat führe zur «Massenüberwachung».
Wermuth will für die Zukunft solchen offensichtlichen Polit-Lügen einen Riegel schieben. Der Bundesrat soll eine gesetzliche Grundlage für eine unabhängige Lauterkeitskommission für politische Werbung erarbeiten. Dazu reicht der SP-Chef nächste Woche eine Motion ein. Diese Kommission soll Regeln und Grundsätze aufstellen mit dem Zweck, eine «faire und lautere politische Auseinandersetzung zu gewährleisten».WERBUNG
Die Idee eines solchen Gremiums ist nicht ganz neu. Wermuth hat sie bereits 2020 im Zusammenhang mit der Mietinitiative und der Konzernverantwortungsinitiative aufgebracht, weil ihm die Kampagne der Gegner zu weit ging. In der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats lief er damit aber auf.
Pandemie, Lügen und Volksgesundheit
Den erneuten Anlauf begründet Wermuth mit der Eskalation im Abstimmungskampf ums Covidgesetz:
«Die Verwendung offensichtlich falscher Informationen und die Verdrehung von Tatsachen haben einen bisher ungekannten Höhepunkt erreicht.»
Da würden nicht nur ein paar Fake News über Facebook verbreitet, sondern «vorsätzlich Lügen zu einer bedrohlichen Pandemie in Haushalte verteilt», so Wermuth. Das sei nicht nur moralisch verwerflich, «solche Falschaussagen zu Covid gefährden die öffentliche Gesundheit».
Die Kommission, wie sie Wermuth nun vorschlägt, soll aber nichts verbieten, sondern als eine Art Ombudsstelle auf Antrag die Lauterkeit politischer Werbung in Abstimmungskämpfen beurteilen und entsprechende Empfehlung an die Akteure abgeben.
Der SP-Nationalrat macht sich keine Illusionen, damit Akteure aufhalten zu können, die bewusst Unwahrheiten verbreiten. Vielmehr könnte das Urteil einer solcher unabhängigen Kommission eine glaubwürdige Instanz für Menschen sein, die durch Desinformation verunsichert seien.
Die Schweiz müsse Zustände wie in den USA verhindern, wo sich Fake News durch den Trumpismus etabliert hätten und die Demokratie untergraben würden, so Wermuth. Eine Lauterkeitskommission könne einen Beitrag dazu leisten, um das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schärfen.
FDP-Präsident Burkart will keine «Wahrheitskommission»
Keine Unterstützung für seinen Vorschlag bekommt Wermuth vom neuen FDP-Präsidenten Schweiz. Thierry Burkart kämpft zwar zusammen mit dem SP-Co-Präsidenten in der überparteilichen Allianz für in Ja zum Covid-Gesetz. Von einer solchen Lauterkeitskommission hält er aber nichts. «Die Richtigkeit eines Arguments wird je nach Position, die vertreten wird, unterschiedlich beurteilt», betont Burkart. Das liege in der Natur von Abstimmungen, in denen Pro- und Contra-Argumente gegenübergestellt werden. So können sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihre Meinung bilden.
Die Bevölkerung sei genug mündig, um offensichtliche Falschbehauptungen zu erkennen. Burkart mahnt:
«Ein «Wahrheitsgremium» schafft keine Abhilfe, sondern liefe nur Gefahr, politisch instrumentalisiert zu werden.»
Und mit einem Seitenhieb gegen links meint der FDP-Präsident: «Die SP täte selber gut daran, den Wahrheitsgehalt ihrer Argumentationen selbstkritisch zu hinterfragen.»
Auch Facebook & Co. kommen unter Druck
Wermuth ist allerdings nicht der einzige, der die Problematik unwahrer Behauptungen kombiniert mit der zunehmenden Bedeutung sozialer Medien thematisiert. Letzte Woche beauftragte der Bundesrat das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) damit, bis Ende 2022 ein Aussprachepapier auszuarbeiten, wie Facebook, Twitter und andere soziale Netzwerke künftig reguliert werden können, um die Bevölkerung vor illegaler Hassrede und Desinformation zu schützen.
Noch konkreter will es Wermuths Parteikollege Jon Pult. Der Bündner Nationalrat fordert, Facebook, Twitter & Co. für illegale unwahre Inhalte in der Schweiz zur Verantwortung zu ziehen.