Emmanuel Macron ging auf Ungeimpfte los – jetzt wird sein vulgärer Spruch zum bitteren Eigengoal
Ein Wort hallt durch den französischen Präsidentschaftswahlkampf: «emmerder». Es bedeutet «auf den Wecker gehen, drangsalieren» und stammt vom sattsam bekannten Fluch «merde» ab. Einem wohlerzogenen Bürger sollte solcherlei nicht über die Lippen kommen, einem Staatspräsidenten noch weniger. Und doch sagte Emmanuel Macron letzte Woche in einem Interview über die ungeimpften Landsleute, er wolle sie «emmerder» – so lange nerven, bis sie sich piksen lassen.
Der Eliteschulabsolvent aus den besseren Kreisen hat nicht einmal die Entschuldigung, er habe volksnah mit vulgär verwechselt: Den Spruch tat Macron sehr bewusst in einer autorisierten Schriftfassung. Vermutlich wollte er damit die konservative, in der Impffrage lavierende Gegenspielerin Valérie Pécresse in die Zwickmühle bringen – in gewissem Sinne also auch «emmerder».
Der Schuss geht allerdings nach hinten los. In der Kritik steht nun Macron. Der Bürgermeister des südwestfranzösischen Dorfes Lavaurette schickte das Porträtbild des Staatspräsidenten, das in Frankreich in jedem Rathaus zu hängen hat, an den Absender zurück. «Seit der Wahl Macrons hat unser Gemeinderat immer unter seinem Blick getagt», erklärte Nils Passedat. «Heute, da Bürger beschimpft werden von einem, der ihnen eigentlich dienen sollte, schicken wir das Porträt zurück, damit Sie es in den Latrinen der Republik recyclen können.»
Die Ungeimpften bringt Macron nicht in die Impfzentren, sondern auf die Strasse: Am Samstag gingen landesweit 105000 «emmerdés», wie sie sich nun nennen, auf die Strasse, mehr als jemals in den Wochen zuvor. Als der Präsident am Montag in ein unwettergeschädigtes Tal im Hinterland von Nizza reiste, zeigten die TV-Kameras vor allem eine Frau, die Macron ihre beiden Handflächen entgegenhielt. Darauf stand: «Je t’emmerde» – du kannst mich mal.
Sein Rivale reagierte mit dem Stinkefinger
Macron liess sich nicht provozieren: «Nur Mut», sagte er gefasst. «Schützen Sie sich und auch die anderen.» Damit hob er sich auch von seinem sehr rechten Widersacher Eric Zemmour ab, der in Marseille mit einem Stinkefinger reagiert hatte, als ihm eine Frau ihren eigenen zeigte.
Dass sich Macron nach seinem Sager wieder staatsmännisch souverän gibt, als wäre nichts, wirkt auf viele Franzosen wie pure Schauspielerei. Auch Impfbefürworter goutieren das nicht: Laut einer Umfrage ist zwar eine Mehrheit dafür, Druck auf Ungeimpfte auszuüben – aber nicht mit beleidigenden Sprüchen, die in der politisch gespannten Lage Öl im Feuer sind.
Macrons eigene Abgeordneten können davon ein Lied singen. Von den monatlich rund hundert Attacken auf Politiker ist vor allem ihre Partei «La République en marche» (LRM) betroffen – und indirekt Macron. «Wir sind die Sündenböcke antidemokratischer Wutausbrüche», erklärte diese Woche die Abgeordnete Aurore Bergé. Ihr LRM-Kollege Stéphane Claireaux wurde am Sonntag im Überseegebiet Saint-Pierre et Miquelon mit dem Rücken zur Wand minutenlang mit getrocknetem Seetang beworfen. Er habe den Eindruck gehabt, «gesteinigt» zu werden, erzählte er später.
Der Präsident überzeugt die Menschen nicht mehr
«Macron überzeugt die Leute nicht mehr, er verärgert sie», resümiert der Kommunikationsberater Denis Pingaud das auslaufende Mandat des Präsidenten. Die liberale Webseite Contrepoints unterstellt ihm «populistisches Marketing». Indem er die Nation spalte, leiste er der Radikalisierung der Kampagne Vorschub. Impfgegner erklären schon heute in trumpistischer Manier, das Resultat der französischen Präsidentschaftswahlen im April könne nur getürkt sein, wenn der Wiederwahlkandidat die Kampagne kraft seines Amtes dirigiere. Wenn er das Kandidatenfeld mit genau kalkulierten Sprüchen zu destabilisieren versuche, denke er nicht an das Allgemeinwohl, sondern nur an sich.
In Meinungsumfragen führt der Präsident mit klarem Vorsprung auf das Trio zu seiner Rechten aus Valérie Pécresse, Marine Le Pen und Eric Zemmour. Doch diese Erhebungen sind mit Vorsicht zu geniessen. Denn die Wahl besteht aus zwei Urnengängen. Und mit seinem Spruch macht Macron eine instabile Kampagne noch unvorhersehbarer.