Klar ungenügend: Bei der Digitalisierung fällt der Staat durch
Das Urteil ist ernüchternd: Unter dem Strich gibt’s für den Staat höchstens die Note 3. Egal, ob bei der Gewährung von Cybersicherheit, bei der schulischen Vermittlung von digitalem Wissen oder bei der Bekämpfung digitaler Gewalt – die Mehrheit erachtet die Kompetenzen des Staates in diesen Bereichen als «eher ungenügend» respektive «ungenügend». Das ist das Fazit einer in der ersten Novemberhälfte 2021 vom Institut Sotomo durchgeführten Umfrage bei 1254 Personen in der Deutschschweiz. In Auftrag gegeben hat die Studie Swico, der Wirtschaftsverband der ICT- und Online-Branche.
Es gibt also aus der Sicht der Befragten Aufholpotenzial. Drei Viertel wollen mehr Tempo bei den Themen Cybersicherheit und digitale Gewalt, je 60 Prozent plädieren dafür, zügig vorwärts zu machen bei der Digitalisierung des Bildungsbereichs sowie beim Aufbau digitaler Kompetenzen in der Verwaltung. Als weniger dringlich erachtet werden der virtuelle Schalter, das elektronische Patientendossier oder der ganze Themenkomplex ums E-Voting. Geradezu als vernachlässigbar erachten die Befragten die digitale Aussenpolitik, also all die Richtlinien, welche etwa die EU zu digitalen Fragen erlässt, die letztlich dann indirekt auch den Weg der Schweiz mitbestimmen.
Der Staat weiss gemäss Umfrage halb so viel wie grosse Unternehmen
Die grösste digitale Kompetenz schreiben die Befragten den grossen Unternehmen zu: 87 Prozent erachten deren Wissen als hoch bis sehr hoch. Bei der Bundesverwaltung ist der Wert wie bei KMU mit 46 Prozent etwa halb so gross. Noch kleiner ist der Glaube an die Schulen: Hier bezeichnen nur 36 Prozent deren digitale Kompetenz als hoch bis sehr hoch.
Gross ist die Skepsis gegenüber der Lehrerschaft. 56 Prozent erachtet deren Kompetenzen als eher ungenügend bis ungenügend, bei Eltern mit minderjährigen Kindern liegt dieser Wert gar bei 58 Prozent. Die Aussage von Eltern mit minderjährigen Kindern hat Gewicht, konnten sie sich doch während des Lockdowns selbst ein Bild des digitalen Fernunterrichts machen. Weniger als die Hälfte, das heisst 45 Prozent der Befragten, glaubt, dass die Schülerinnen und Schüler heute gut oder eher gut auf die «Berufsbilder der Zukunft» vorbereitet werden, gar nur 35 Prozent zeigen sich zuversichtlich, was den «Umgang mit digitalen Medien» betrifft.
Grösstes Problem: Der Mangel an Cybersicherheit
Als virulentestes Problem gilt jedoch die Cybersicherheit und insbesondere der fehlende Schutz kritischer Infrastrukturen und der Verwaltung. Aber auch der Unternehmen. Die Häufung von Cyberangriffen auf Unternehmen, wie etwa auf den Vergleichsdienst Comparis oder jüngst etwa auf die CPH-Papierfabrik, hat das Bewusstsein fürs Problem offensichtlich geschärft. Hier stehen gemäss den Befragten nicht nur die Unternehmen selbst in der Pflicht, sondern auch der Staat.
Grossen Handlungsbedarf gibt es gemäss Umfrage auch beim Thema der digitalen Gewalt, also bei Cybermobbing, Cyberstalking, Hassrede, Gewaltandrohung oder Diskriminierung im digitalen Raum. Mehr als die Hälfte der befragten Personen weiss sich nach eigenen Angaben nicht ausreichend zu schützen, sollten sie mal selbst bedroht werden. Bei Frauen liegt dieser Anteil bei gar über 60 Prozent. Die Lösung: Es brauche in diesem Bereich mehr Aufklärung durch den Staat, eine klarere und strengere Gesetzgebung sowie mehr Ressourcen für die Strafverfolgung.
Eher nebensächlich: Die Instrumente der digitalen Demokratie
Ganz anders die Situation bei der digitalen Demokratie: Zwar ist E-Voting, wohl auch wegen der gescheiterten Ambitionen bei Bund und Kantonen, drei Viertel ein Begriff, als «wichtig» erachten es aber nur 33 Prozent, für weitere 27 Prozent ist es «eher wichtig». Ähnlich sind die Werte beim E-Collecting, also bei der Online-Unterschriftensammlung – wobei dieses Instrument von politisch links und rechts stehenden Personen als wichtiger eingestuft wird als von jenen, die sich politisch in der Mitte verordnen. Aber das liegt wohl auch daran, dass Initiativen und Referenden grundsätzlich eher von links und von rechts aus lanciert werden.
«Diese Ergebnisse fallen für uns überraschend aus, zumal sich die öffentliche Diskussion um den digitalen Staat hauptsächlich um e-Government dreht», hält Swico-Geschäftsführerin Judith Bellaiche fest.