Patient auf der Vogelpflegestation in Oftringen: Ein beduselter Mäusebussard
Treffpunkt Vogelpflegestation Oftringen. Urs Meyer, Präsident des Natur- und Vogelschutzvereins Oftringen (NVO), grüsst, steigt von der Leiter hinunter und sagt fast ein wenig entschuldigend: «Wir sind gerade am Umbauen.» Die Platzverhältnisse in der beim Loohof gelegenen Station sind schon lange einengend gewesen. Weil die in einem Nebenraum gelegene Indoor-Bogenschiess-Anlage aufgelöst worden ist, hat sich für den Natur- und Vogelschutzverein die Möglichkeit ergeben, den grösseren Raum zu übernehmen. «Dann werden wir deutlich mehr Platz für unseren Triageraum haben», erklärt Meyer, «wo wir verletzte Vögel für eine erste Untersuchung und Versorgung in Empfang nehmen.» Dort werden dann endlich grosszügige Ablageflächen zur Verfügung stehen. Auch die Anzahl der Vogelkäfige wird erhöht. «Dort bleiben die Vögel bis zur Genesung und anschliessend kommen sie noch einige Tage in die Aussenvolieren, bevor sie wieder freigelassen werden können», sagt Meyer weiter. Wenn es denn gut ausgeht. Das ist bei weitem nicht immer der Fall. So wurden 2019 beispielsweise 209 «Patienten» aufgenommen, für 79 kam jede Hilfe zu spät.
Viel Engagement und eine grosse Faszination
Die Arbeit in der Vogelpflegestation, die von Susi Stocker, Roland Zimmerli und Urs Meyer hauptverantwortlich geleitet wird, erfordere von allen Beteiligten ein grosses Engagement. So wurden beispielsweise 2019 von verschiedenen Helferinnen und Helfern insgesamt 1321 Pflegetage geleistet. Ein Engagement, das ehrenamtlich geleistet wird.
Doch Meyer möchte das Mitwirken in der Vogelpflegestation, wie überhaupt im NVO, nicht missen. «Obwohl ich eher ein ‹Spätberufener› bin», sagt er und lacht. Er habe sich zwar auch schon in seiner Jugend für die Welt der Vögel und naturkundliche Anliegen interessiert, doch eher in der Funktion des Spaziergängers und Betrachters.
In Kontakt mit dem NVO sei er erstmals in seiner beruflichen Arbeit als Hauswart im Einkaufszentrum EO/Tychboden gekommen. «Als Hauswart durfte ich Andreas Reist, dem damaligen NVO-Präsidenten, helfen, den Turmfalken-Nistkasten auf dem Dach des Einkaufszentrums zu montieren.» In luftiger Höhe, rund 67 Meter über Boden. Reist konnte Meyer zum Mitmachen im Verein bewegen, seit etwa sieben Jahren präsidiert Meyer nun den Verein. «Ein interessanter Verein mit vielen Projekten», findet der 57-Jährige – und in etwa mit den gleichen Problemen, die alle Vereine in der Region haben: «Es ist schwierig, jüngere Leute für ein Mitmachen zu begeistern.»
In der Vogelpflegestation ist es momentan ruhig. Ein Mäusebussard ist der einzige Pflegling. Ein Pflegling aber, der auf dem besten Weg zurück ist. Und einer, der auf einem speziellen Weg aus der Region Aarau nach Oftringen gekommen ist.
«Der Mäusebussard ist aller Wahrscheinlichkeit nach in den Luftstrom eines Lastwagens geraten und muss dann auf den Boden aufgeprallt sein», sagt Meyer, und sei nach dem Aufprall benommen am Boden liegen geblieben. Eine nachfolgende Automobilistin hat das Geschehen beobachtet und darauf angehalten, den Mäusebussard in ihr Auto verfrachtet und ist mit ihm in die Tierklinik Aarau West gefahren, wo der Greifvogel untersucht wurde. In der Tierklinik wurden keine Verletzungen festgestellt. Eine Ärztin der Klinik hat den Vogel dann zur weiteren Beobachtung nach Oftringen in die Vogelpflegestation gebracht. «Die Automobilistin hat viel Glück gehabt», sagt Meyer zur Rettungsaktion. «Wäre der Mäusebussard nicht so beduselt gewesen, hätte das eine unruhige Fahrt werden können.»
Ein Aufruf an Hausbesitzer und Liegenschaftsverwalter
Hilfe für die Vogelwelt kann man nicht nur im Unglücksfall leisten. Deshalb lanciert der NVO aktuell einen Aufruf, der sich in erster Linie an Hausbesitzer und Liegenschaftsverwalter richtet. Die Vogelpflegestationen in der Schweiz erhalten jedes Jahr zahlreiche «Patienten» anvertraut, die Opfer von falsch getimter Gartenpflege geworden sind. «Das müsste nicht sein und verursacht uns unnötigen Aufwand», sagt Meyer.
Wer etwa die Umgestaltung seines Gartens plane, dabei eine Hecke entfernen oder sogar einen Baum fällen wolle, sollte die grösseren Arbeiten jetzt und bis spätestens im Verlauf des Monats März erledigt haben. Denn jetzt sind die Vögel zwar da, etwa ab April auch die Zugvögel, aber sie sind nicht am Brutgeschäft. «Machen Sie Ihren Winterschnitt und vor allem die grösseren Gartenarbeiten im Einklang mit der Vogelwelt», so die Bitte des Natur- und Vogelschutzvereins. «Und wenn Sie später noch einen Feinschnitt machen wollen, schauen Sie vor dem Schnitt nach, ob Sie ein Nest mit einem brütenden Vogel entdecken. Dann lassen Sie den Schnitt aus oder machen ihn einfach so, dass das Nest gut vor Nesträubern geschützt bleibt.» Es sei auch zu bedenken, dass brütende Vögel von Gesetzes wegen geschützt seien und nicht gestört werden dürfen. Und auch das Schnittgut müsse nicht vollständig entfernt werden, gibt Meyer weiter zu verstehen, denn zahlreiche Tiere seien froh um einen Unterschlupf.
Fehlt noch das Happy-End. «Du möchtest sicher noch ein Foto vom Bussard machen?», fragt Meyer. Also geht es zur Aussenvoliere, wo Meyer vorsichtig hineinspäht und die Tür sofort wieder schliesst. «Er ist genau am richtigen Ort», sagt er und betätigt eine Vorrichtung, mit der er den Raum mit einem Vorhang verkleinern kann. Nach dem gemeinsamen Betreten der Voliere aber hat der Bussard eine Lücke im Vorhang entdeckt und flattert aufgeregt im Raum umher.
Auf die Waage und ab in die Freiheit
Nicht lange allerdings. Bald hat Meyer den Vogel eingefangen. Dabei hält er beide Füsse des Bussards in einer Hand, damit ihn der Vogel mit seinen Krallen nicht verletzen kann. Dann untersucht er dessen Flügel und will ihn nochmals wägen, weil er nicht sicher ist, ob der Bussard das erforderliche Gewicht von 600 bis 800 Gramm hat. Einen Greifvogel wägen? Meyer ist die Ruhe in Person und sagt bestimmt: «Der Bussard wird keine Bewegung machen.»
Er nimmt eine Stofftasche zur Hand und zieht diese dem Vogel ganz sachte über Kopf und Rumpf. Dann legt er den Vogel auf die Waage und tatsächlich: Der Bussard liegt ohne jede Bewegung auf der Waage. «Er glaubt, jetzt sei es Nacht», sagt Meyer. 720 Gramm zeigt die Waage – die Freiheit kann kommen. Meyer fasst den Bussard wieder an den beiden Beinen, befreit ihn von der Stofftasche, und dann geht es nach draussen. Sofort breitet der Mäusebussard seine Schwingen aus und mit majestätischen Bewegungen entschwebt er in die Lüfte. «Das sind die schönen Momente, die wir hier in der Vogelpflegestation erleben dürfen», sagt Meyer.