Operation-Libero-Chefin schafft Wahl in Zürich, «Free Gaza»-Partei gewinnt Sitz, Massnahmenkritiker schaden der SVP – fünf überraschende Geschichten vom Sonntag
In Zürich zieht nationale Polit-Prominenz in Parlament ein
Bei den Wahlen in die Stadtregierung von Zürich hat die SP ihren 2018 verlorenen vierten Sitz auf Kosten der Alternativen Liste (AL) zurückerobert, die FDP verteidigte ihre beiden Sitze hauchdünn. Im Parlament mussten AL, SP, EVP und SVP Federn lassen, Grüne, GLP und FDP gewannen Sitze hinzu, und der Mitte gelang nach vier Jahren Abwesenheit die Rückkehr in den Zürcher Gemeinderat, das 125-köpfige Parlament der grössten Schweizer Stadt.
Dort werden in den nächsten vier Jahren einige Köpfe zu sehen sein, die auch schweizweit schon aufgefallen sind. Dazu gehört Sanija Ameti, die seit Oktober 2021 Co-Präsidentin der Operation Libero ist und für die GLP in den Gemeinderat einzieht. Sie sorgte gleich beim Einstand ins neue Amt mit einer scharfen Attacke auf FDP-Präsident Thierry Burkart und dessen Europapolitik für Aufsehen. Ebenfalls auf einer GLP-Liste die Wahl geschafft hat Patrick Hässig (42). Der ehemalige Radio- und Fernsehmoderator wurde im Abstimmungsherbst 2021 unter anderem mit einem «Arena»-Auftritt zum Gesicht der erfolgreichen Pflegeinitiative.
Für die SP wurde Islam Alijaj gewählt. Der 35-jährige zweifache Familienvater sitzt wegen einer Zerebralparese im Rollstuhl. Das ist eine Hirnschädigung, die dazu führt, dass Betroffene nur wenig Kontrolle über ihre Muskeln und Bewegungen haben. Gemeinsam mit anderen Menschen mit einer Behinderung hat Alijaj die Inklusions-Initiative lanciert. Deren Ziel: Eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilnahme von Menschen mit Behinderungen am politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben.
Eine Gaza-Solidaritätspartei holt in Dietikon ZH einen Sitz
Kuriosum bei den Wahlen in Dietikon ZH: Die Gruppierung «Free Gaza Dietikon, Menschenwürde für alle» des Neurentners Max Bodenmann gewinnt einen Sitz im Parlament. Bodenmann lebt erst seit einem Jahr in der 28’000-Einwohner-Gemeinde im Zürcher Limmattal. Davor war er im zürcherischen Wetzikon wohnhaft, wo er 2014 eine Sektion der Alternativen Liste (AL) gründete.
Gegenüber der «Limmattaler Zeitung» sagte Bodenmann im Januar, die menschliche Unterdrückung im Gaza-Streifen sei für ihn ein enorm wichtiges Thema. Der Umgang Israels mit den Palästinenserinnen und Palästinenser sei «exemplarisch für viel Unrecht auf der Welt», sagt er. Seiner Gruppierung, die aus rund zehn Personen bestehe, die aber nur mit Bodenmann als Einzelkandidaten zu den Wahlen angetreten ist, gehe es nicht nur um Gaza: «Wir wollen, dass alle Menschen in Würde leben können.» Doch der Nahostkonflikt treibt Bodenmann besonders um. Mit Aktionen ausserhalb des politischen Betrieb wolle man die Menschen darüber informieren. Denn der Wissensstand über den Nahostkonflikt und die Ungerechtigkeit in der Welt sei «leider zu tief».
Corona-Massnahmengegner enttäuschen in Zürich – aber sie haben der SVP den Wahltag vermiest
Unter dem Namen «Freie Liste» traten in Zürich zahlreiche Kritiker der Covid-Massnahmen zu den Wahlen an, die sich erst im November zusammengeschlossen hatten. Mit gleich fünf Kandidaten traten sie für den neunköpfigen Stadtrat an. Auch gegen Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) trat die Freie Liste mit Josua Dietrich an, der im Wahlkampf versprach, als Stadtpräsident werde er «den Fallzahlen-Bschiss beenden». Dietrich und seine Kollegen blieben chancenlos und landeten auf den Plätzen 19, 21 sowie 23, 24 und 25 – von 25 Kandidierenden. In sechs der neun Wahlkreise trat die Freie Liste auch für die Parlamentswahlen an. Gesamthaft konnten die Massnahmenkritiker nur gerade 1,23 Prozent der Wählenden von sich überzeugen und scheiterten in allen Wahlkreisen deutlich am Fünf-Prozent-Quorum, das für einen Einzug in den Gemeinderat nötig ist.
Trotz enttäuschendem Ergebnis, ganz ohne Folgen blieb das Antreten der «Freien Liste» nicht. Gemäss einer ersten Analyse der Wahlergebnisse durch SVP-Nationalrat Mauro Tuena kosteten die Massnahmenkritiker der SVP Stimmen. Tuena, ein Urgestein der Stadtzürcher SVP, musste das schlechteste Ergebnis seiner Partei seit 1994 zur Kenntnis nehmen. Mit 11,1 Prozent ist die SVP nur noch fünftstärkste Kraft in Zürich. Vor acht Jahren war sie hinter der SP noch Nummer zwei. Die SVP kommt noch auf 14 Sitze. Seit Anfang dieses Jahrhunderts hat sich ihre Sitzzahl mehr als halbiert.
Umweltanliegen haben es an der Urne weiterhin schwer
Auch wenn der Klimawandel gemäss Umfragen eine der grössten Sorgen der Bevölkerung ist und Grüne und Grünliberale von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilen: Bei Abstimmungen ist es weiterhin schwierig, für Umweltanliegen Mehrheiten zu finden. Die Bevölkerung des Kantons Bern etwa lehnte am Sonntag mit 53 Prozent eine Erhöhung der Motorfahrzeugsteuern ab, gegen die die SVP das Referendum ergriffen hatte. Künftig hätten Motorfahrzeuge nicht nur nach Gewicht, sondern auch bezüglich CO2-Ausstoss besteuert werden sollen. Regierung und Parlament wollten so Anreize für den Kauf möglichst klimafreundlicher Fahrzeug setzen. Ausser der SVP unterstützten alle grossen Parteien die Vorlage.
Im Kanton Basel-Landschaft erlitt die Klimaschutzinitiative der Grünen mit 64,3 Prozent Nein-Stimmen eine klare Abfuhr. Die Grünen wollten erreichen, dass sich der Kanton verbindlich zu den Klimazielen des Pariser Abkommens bekennt und dazu seine CO2-Emissionen spätestens bis 2050 auf Netto-null senkt. Das entspricht zwar dem Ziel des Bundes, umstritten ist allerdings, welche Rolle die Kantone dabei spielen sollen. Gemäss Initiativtext sollte die Regierung die CO2-Reduktionspfade definieren und jährlich einen Klimabericht erstellen, das Parlament hätte bei Nichterreichen der Ziele neue Massnahmen beschliessen sollen.
Strengere Transparenzvorschriften bleiben populär
Welche Finanzströme in der Schweizer Politik fliessen, war lange Zeit ein gut gehütetes Geheimnis. Im internationalen Vergleich ist die Politikfinanzierung äusserst lasch geregelt. Das beginnt sich zu ändern. In den Kantonen Schwyz, Neuenburg, Genf, Schaffhausen und Fribourg sind bereits Transparenzvorschriften beschlossen worden. Und auch auf Bundesebene hat sich das Parlament im vergangenen Sommer auf einen Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative der SP geeinigt. Neu müssen Spenden ab einer Höhe von 15’000 Franken offen gelegt werden.
Dass die Bevölkerung Licht in die Dunkelkammer der Politfinanzierung bringen will, hat sich am Sonntag erneut gezeigt. Im Kanton Jura wurde die Transparenz-Initiative der SP mit 59,9 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Sie verlangt, dass Parteien, Wahlkampfkomitees und Organisationen, die an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen, ihre Finanzen offenlegen müssen. Bei Spenden von über 750 Franken muss zudem die Herkunft offengelegt werden. Ein weniger weitgehender Gegenvorschlag von Regierung und Parlament hingegen fiel mit nur 44,8 Prozent Ja-Stimmen durch.