Exklusiv: Bundesrat Berset will besondere Lage per Ende März aufheben – Kantone in der Verantwortung
Die Zahl der Neuinfektionen sinkt, die Lage in den Spitälern hat sich entspannt, eine Mehrheit der Kantone hat sich in der Konsultation für die sofortige Aufhebung praktisch aller Massnahmen ausgesprochen. Kurzum: Sehr vieles deutet daraufhin, dass der Bundesrat am Mittwoch weitgehend die Rückkehr zur Normalität ausruft. Das heisst: Die Zertifikatspflicht für Restaurants, Museen, Fitnesscenter etc. fällt, Ungeimpfte dürfen wieder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Denkbar ist, dass der Bundesrat die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr, in Spitälern, Altersheimen und eventuell in Läden verlängert. Damit bleibt die Covid-Verordnung zur besonderen Lage in abgespeckter Form in Kraft.
Würde der Bundesrat alle Massnahmen auf einen Schlag abschaffen, könnte er auch die Covid-Verordnung zur besonderen Lage aufheben. Recherchen zeigen aber, dass der Bundesrat damit noch etwas zuwartet. Gemäss Informationen von CH Media beantragt Gesundheitsminister Alain Berset seinen Ratskollegen, Ende März zur normalen Lage zurückzukehren. Damit würden die letzten bundesrätlichen Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie fallen. Die Kantone stünden wieder in der Verantwortung, etwa an Universitäten, Berufsschulen oder Gesundheitseinrichtungen Massnahmen zu erlassen. Allerdings wäre es technisch möglich, zum Beispiel die Maskenpflicht in Zügen, Bussen und Trams weiterhin national zu regeln, zum Beispiel mit Übergangsbestimmungen in der Epidemienverordnung.
Eine besondere Lage liegt gemäss Epidemiengesetz unter anderem dann vor, wenn eine erhöhte Ansteckungsgefahr besteht und die öffentliche Gesundheit gefährdet ist. Der Bundesrat rief die besondere Lage Ende Februar 2020 aus. Er verbot damals Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen. Zwei Wochen später rief die Regierung die ausserordentliche Lage aus. Damit konnte er in Eigenregie Massnahmen erlassen. Im Juni hob er sie wieder auf. Auch in der besonderen Lage verfügt der Bundesrat über weitreichende Macht; allerdings muss er die Kantone vor Entscheidungen anhören. Nicht immer fanden sie mit ihren Anliegen Gehör.
Gerangel um Kompetenzen als Dauerthema
Das Gerangel um die Kompetenzen war ein Dauerthema in der Pandemie. Vor allem im Herbst 2020, als sich die zweite Welle aufbaute, schoben Bund und Kantone die Verantwortung hin und her.
Die Abkehr von der besonderen Lage bedeutet, dass der Bundesrat das Coronavirus nicht mehr als besondere Gefahr für die öffentliche Gesundheit taxiert. Diese Einschätzung hat viel mit der Auslastung der Spitäler zu tun, die am sinken ist.
Für Berset ist die besondere Lage kein Entscheid des Bundesrats
Auch das Parlament hat sich im letzten Jahr mehrfach mit der besonderen Lage befasst. Die SVP verlangte in der Sommer- und in der Wintersession, sie aufzuheben. Es bestünden wirksame Schutzkonzepte, sodass die Gefahr einer Übertragung mit dem SARS-CoV-2-Virus minimiert werde. Unter der Bundeskuppel stand die SVP aber allein auf weiter Flur und scheiterte mit ihrem Begehren. Im Dezember, als sich explodierende Fallzahlen wegen der Omikron-Variante abzeichneten, argumentierte Gesundheitsminister Alain Berset im Nationalrat, die besondere Lage sei gar kein Entscheid des Bundesrats, sondern ein Befund, der sich aufgrund der epidemiologischen Lage ergebe. Er rief in Erinnerung, die Kantone hätten den Bund um schärfere Massnahmen ersucht.
Der Zürcher SVP-Nationalrat Alfred Heer hingegen sagte, der Bundesrat müsse die besondere Lage jetzt beenden, um den Weg zur Normalität zurückzufinden. Er kritisierte, Medien hätten den Bund beim Panikschüren mit dramatischen Berichten aus Intensivstationen unterstützt. Heer sagte in der Parlamentsdebatte im Dezember: «Es ist immer tragisch in Intensivstationen. Bekanntlich liegen in den Intensivstationen keine gesunden Personen, sondern sterbenskranke Menschen, egal, ob diese an Covid oder anderen Krankheiten leiden.»