«9000 Betten reichen nicht aus»: Bund und Kantone wappnen sich für bis zu 50’000 Ukraine-Geflüchtete
Tausende Geflüchtete aus der Ukraine suchen Schutz in der Schweiz. Es ist eine grosse Herausforderung für die Behörden. Wie gross, darüber informierten das Staatssekretariat für Migration (SEM) und die Kantone am Donnerstagnachmittag. Je nach Entwicklung des Kriegs rechnet der Bund mit bis zu 50’000 Geflüchteten in der Schweiz.
Rund 8500 Menschen haben hierzulande bisher den Schutzstatus S erhalten. Sie gehören zu den Glücklichen, die sich in den letzten Tagen in einem der sechs Bundesasylzentren registrieren lassen konnten. Die Zentren waren am Anschlag: Täglich bildeten sich lange Schlangen, viele Ukrainerinnen und Ukrainer mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen.
David Keller, Leiter Krisenstab Asyl beim Staatssekretariat für Migration, betont aber:
«Wir haben nie Personen abgewiesen, die ein Dach über dem Kopf brauchen.»
Die 200 bis 800 Personen täglich, die eine Unterkunft bräuchten, würden alle aufgenommen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe sei in allen Zentren vor Ort und helfe bei der Unterbringung. «Es wurden nur Leute nach Hause geschickt, die bereits privat eine Unterkunft hatten, sich aber noch registrieren wollten», so Keller.
Nun erhofft man sich eine Entlastung der Zentren: Seit Donnerstag können Geflüchtete online ein Formular einreichen und erhalten vom SEM einen Termin, wann sie ins Bundesasylzentrum kommen sollen. Auch für den Zugang zur Krankenversicherung gilt das Datum der Einreichung des Formulars. In den ersten zwölf Stunden hätten schon über 1000 Menschen die neue Option genutzt, erklärt David Keller.
Droht bald die Überlastung?
Der Bund habe die Kapazität von 4000 auf 9000 Betten gesteigert. Davon seien aktuell 1500 frei. Keller gibt aber offen zu, dass es mehr Betten braucht und man je nach Entwicklung bald an die Kapazitätsgrenzen stossen könnte:
«9000 Betten reichen nicht aus. Wenn täglich zwei- bis dreitausend Menschen kämen, die eine Unterkunft suchen, wird es kritisch.»
Je nach Entwicklung der Situation in der Ukraine sei nicht auszuschliessen, dass es so weit komme. «Ich bin nicht sicher, wie gut wir diese Krise meistern werden», gibt Keller zu, «aber wir geben unser Bestes.» Über die privaten Unterbringungen wie auch die Unterstützung vom Hotellerie- und Hauseigentümerverband sei man sehr froh, betont Keller.
150 bis 200 Mitarbeitende des SEM seien sieben Tage die Woche im Einsatz, um die Gesuche möglichst schnell zu bearbeiten. Es sind alles Leute vom SEM, die aus anderen Bereichen abgezogen wurden. Etwa 1000 Gesuche täglich schafft das qualifizierte Personal – so viele wie normalerweise pro Monat. Das bedeute eine hohe Belastung, erklärt Keller: «Über längere Zeit können wir das so nicht aufrechterhalten.»
Kantone mit grossen Städten sind überdurchschnittlich belastet
Nach der Registrierung in einem Zentrum werden die Schutzsuchenden an einen Kanton weiterverwiesen. «Das läuft über den normalen Verteilschlüssel des Asylsystems, der sich nach den kantonalen Bevölkerungszahlen richtet», sagt Gaby Szöllösy, Generalsekretärin der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren: «Die Idee wäre, dass der Schlüssel ungefähr eingehalten wird. Im Moment funktioniert das aber nicht aufs Prozent genau.»
Man müsse bedenken, dass viele Leute bei Bekannten untergekommen seien – die meisten in den Kantonen mit grossen Städten. «Das können wir momentan nicht komplett austarieren», so Szöllösy. Genau dies wäre aber ein Hauptziel, sagt sie:
«Aus Sicht der Kantone ist es wichtig, dass es nicht über eine längere Zeit eine einseitige Belastung gibt.»
Aus diesem Grund könne es sein, dass Geflüchtete nicht in dem Kanton unterkommen, wo sie Bekannte haben. «Das halten wir momentan für zumutbar, um die grossen Städte und Kantone zu entlasten», so Szöllösy. Wer aber direkt bei Bekannten unterkomme, werde sicher nicht einem anderen Kanton zugewiesen.
Mit dem Schutzstatus S erhalten die Geflüchteten Sozialhilfe
Der Kanton muss anschliessend entscheiden, ob er die Geflüchteten selbst unterbringt oder – in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe – eine Unterbringung bei Privaten organisiert. Aktuell ist dies fast bei der Hälfte der registrierten Personen mit Schutzstatus S der Fall.
Mit dem Schutzstatus S bekommen die Geflüchteten Sozialhilfe vom Kanton. Die Kantone wiederum erhalten dafür eine Entschädigung vom Bund. Diese liegt durchschnittlich bei 1573 Franken pro Person und Monat. Eine Entschädigung für Gastfamilien steht zur Debatte, ist aber noch nicht spruchreif. Im Moment liegt es in der Hand der Kantone, ob sie einen Teil der Pauschale vom Bund an Private weitergeben.
Psychiatrische Klinik, Pflegeheim, Turnhalle: Überall entstehen Unterkünfte
Bei der Beschaffung von Unterkünften werden die Kantone und Gemeinden kreativ. Einige Beispiele: Im Kanton Solothurn dient eine «familienfreundlich eingerichtete» ehemalige psychiatrische Klinik als Unterkunft, in Zürich ist es mit der Saalsporthalle eine Turnhalle. Im Kanton St.Gallen hat es Plätze in einem leerstehenden Altersheim, Nidwalden nutzt eine Zivilschutzanlage.
Zudem haben viele Kantone (etwa die meisten Zentralschweizer Kantone, alle Ostschweizer Kantone sowie der Aargau und Zürich) kantonale Anlaufstellen geschaffen, die per E-Mail und Infoline erreichbar sind. Dort gibt es Informationen und Auskünfte für Geflüchtete ebenso wie für Menschen, die helfen wollen.
Die Armee stellt zwei Kasernen als Notunterkünfte bereit
Auch die Armee engagiert sich: Sie stellt neben der Kaserne Bülach (ZH) auch die Kaserne Bure (JU) als Notunterkunft für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine zur Verfügung. An beiden Orten sind bereits Menschen aufgenommen worden. Insgesamt stehen vorübergehend bis zu 1800 Plätze zur Verfügung, 500 in Bülach und 1300 in Bure.