Wenig Auswahl für Menschen mit Behinderungen: Barrierefreie Beizen sind im Aargau rar
Beim Gastromagazin «Falstaff» sind von 57 eingetragenen Aargauer Beizen gerade mal 16 als barrierefrei gekennzeichnet. Etwas wenig Auswahl für Menschen mit Behinderungen, die sich für ein nettes Abendessen auf Kantonsgebiet etwas aussuchen möchten.
Die Enttäuschung darüber könnte beim Besuch ausserdem noch grösser werden. Denn die Restaurants erfassen beim Gastroführer ihre Angaben über das kulinarische Angebot oder eben auch die Barrierefreiheit selbst. Und Kriterien gibt es nach Angaben des Gastroführers nicht. Ein Mehraufwand für die Recherche vor einem Besuch ist also garantiert.
Das liegt in erster Linie daran, dass öffentlich zugängliche Bauten wie Hotels oder Restaurants nur Anforderungen an die Barrierefreiheit umsetzen müssen, wenn sie baubewilligungspflichtig um- oder neu gebaut werden, sagt Sebastian Burnell. Er leitet die Fachstelle für hindernisfreies Bauen bei der Behindertenorganisation Procap in Olten.
Erst dann müssen sich Bauherren und Projektplanerinnen an die Norm SIA 500 halten, welche bauliche Massgaben definiert, damit eine Baute als hindernisfrei gilt. Obwohl Burnells Bauberatungen im Aargau und in Solothurn kostenfrei sind, werden diese fast ausschliesslich in Anspruch genommen, wenn eben bewilligungspflichtige bauliche Massnahmen vorgenommen werden sollen und der Bauherr zur Einhaltung der Norm SIA 500 gezwungen ist.
Platz- und Geldmangel verhindern Umbauten
Einfache «Kochrezepte», wie man Barrieren beim Zugang in und um den Gastraum umgehen könnte, gibt es zwar nicht immer, sagt Sebastian Burnell. Abhilfe schaffen könnten aber beispielsweise häufig schon mobile Rampen, Handläufe an Treppen oder Stufenmarkierungen für Seh- oder Gehbehinderte.
Fixe Massnahmen wie beispielsweise Treppenlifte bleiben aber ein schwieriges Thema. Gerade in Altstadt-Beizen sei die Platzknappheit für viele Massnahmen oft ein Problem, sagt Burnell. Deshalb zeigt Bauexperte Burnell durchaus Verständnis, dass Gastronomen ihre Lokale nur dann den Anforderungen anpassen, wenn sie zwingend müssen.
Hinzu kommt ein weiterer Faktor, sagt der Präsident des Aargauer Branchenverbands GastroAargau, Bruno Lustenberger: Das Geld. So seien Umbauten der sanitären Anlagen oder der Einbau von (Treppen-)Liften sehr teuer. Bei einem Projekt, an dem Lustenberger beteiligt ist, komme auch noch der Denkmalschutz hinzu, der den Einbau eines Lifts aktuell schwierig mache.
Trotzdem, Möglichkeiten eine Zugangssituation für Menschen mit Behinderungen zu verbessern, gibt es eben immer, sagt Sebastian Burnell.
«Barrierefrei» heisst nicht nur «rollstuhlgängig»
Im Bereich Barrierefreiheit «macht GastroAargau den Restaurants zwar keine eigenen Vorgaben», führt Lustenberger aus, «wir appellieren aber an die Freiwilligkeit der Beizer». Jeder Betrieb müsse allerdings selbst entscheiden, wie er mit baulichen Massnahmen umgeht.
In der Schulung der Wirte und auch an Hotelfachschulen sei das Thema aber Teil der Ausbildung. Zudem müssten Hotels bei Anträgen für eine höhere Sterne-Zertifizierung auch im Bereich der Barrierefreiheit höhere Ansprüche erfüllen.
«Barrierefrei» heisst aber nicht einfach «rollstuhlgängig» – auch im Umgang mit Menschen mit einer Seh- oder Hörbehinderung gibt es für Aargauer Beizer keine verbindlichen Regeln, bestätigt Bruno Lustenberger.
Heisst, eine Menükarte in Braille- oder Reliefschrift ist nicht zwingend. Aktuell haben weder der Gastroverband noch Procap Aargau/Solothurn ein Projekt, das die Sensibilisierung fürs Thema oder gar eine engere Zusammenarbeit anstrebt.
«Zugangsmonitor» schafft oft Abhilfe
So bleibt es für Menschen mit Behinderungen im Normalfall also auch weiterhin Pflicht, sich bei der Auswahl eines Restaurants nicht nur anhand der Speisekarte zu entscheiden, sondern, ob man sie da überhaupt bedienen kann.
Verbindliche Hinweise liefert übrigens wenigstens eine von der Behindertenorganisation Pro Infirmis lancierte Internetkarte. Diese zeigt barrierefreie Lokalitäten in der Schweiz, die durch geschulte Leute bewertet wurden – zum Beispiel Beizen, Parkplätze oder Kinos. Dazu gibt es einen von Procap geführten Zugangsmonitor für Kulturinstitutionen.