Christian Eriksen zurück im dänischen Nationalteam: «Ich erinnere mich an alles – ausser an die fünf Minuten, als ich tot war»
Es ist kurz vor 9 Uhr morgens in Marbella. Die meisten Gäste im Hotel Barcelo sitzen noch beim Frühstück. Doch draussen in der Lobby stehen die Kameras bereit – für Christian Eriksen.
Am späten Mittwochabend ist er angereist. Weil er noch an Corona erkrankte, konnte er nicht schon am Montag kommen. Egal. Erstmals seit seinem Herzstillstand an der EM ist Eriksen wieder Teil des dänischen Nationalteams. Seine Rückkehr ist in Dänemark eine grosse Sache. Natürlich, schliesslich hat das ganze Land mit ihm und seiner Familie in diesen schweren Stunden mitgelitten.
Nun steht Eriksen da und erzählt. Zuerst in die TV-Kameras. Dann in die Diktiergeräte der schreibenden Presse.
«Es fühlt sich schon ziemlich speziell an, wieder im Kreis des Nationalteams zu sein. Ich fühle mich, als wäre ich nie weg gewesen – aber das stimmt natürlich nicht. Ich war lange weg. Und darum sind diese Tage jetzt etwas Besonderes.»
Rückblende: Es ist der 12. Juni 2021, der zweite Tag der EM, Dänemark spielt in Kopenhagen gegen Finnland. Kurz vor der Pause bricht Eriksen auf dem Spielfeld zusammen. Er hat einen Herzstillstand erlitten. Die quälende Ungewissheit für seine Familie, die Teamkollegen und Zuschauer scheint unendlich. Die Geschichte nimmt glücklicherweise ein gutes Ende. Dank der grossartigen Reaktion der Ärzte überlebt Eriksen.
Gut neun Monate später geht Eriksen selbst entspannt mit der eigenen Geschichte um. Wenn er spricht, dann tut er das mit einer wohltuenden Gelassenheit. Man hat nie das Gefühl, die Geschichte bedrücke ihn oder die Fragen seien ihm unangenehm. Auf die Frage, ob er die Geschehnisse an der EM am liebsten vergessen würde, sagt Eriksen:
«Nein, was passiert ist, wird immer ein Teil von mir sein. Natürlich habe ich mich oft gefragt, warum das gerade mir passieren musste. Aber das ist jetzt vorbei.»
Auch die Erinnerungen an das Spiel selbst und die Momente danach hat Eriksen nicht verloren.
«Ich erinnere mich an alles – ausser an die fünf Minuten direkt nach meinem Herzstillstand. Ich war tot für fünf Minuten und lag auf dem Rasen. Aber was davor und danach geschah, das habe ich alles mitbekommen.»
Die Anteilnahme ist auf der ganzen Welt riesig. Er hat unzählige Blumen, Geschenke und E-Mails erhalten. Überall auf der Strasse wird er gefragt, wie es ihm gehe und gute Genesung gewünscht. Eriksen ist das manchmal fast ein bisschen unangenehm. Einfach, weil es ihn daran erinnert, was ihm widerfahren ist. Fühlt sich Eriksen nun, als hätte er ein zweites Leben erhalten?
«Nein, ich sehe es nicht als zweites Leben. Es war einfach ein kleiner Unterbruch. Ich habe mein System zurückgestellt – und jetzt geht es wieder weiter.»
Bald auch im Nationalteam. Am Samstag spielt Dänemark auswärts gegen Holland. In Amsterdam. Im Stadion, wo Eriksen in jungen Jahren seine Karriere so richtig lanciert hat. Wird er bereits zum Einsatz kommen? «Ich bin zu 100 Prozent fit», sagt Eriksen. Spätestens am nächsten Dienstag, wenn Dänemark in Kopenhagen auf Serbien trifft, wird Eriksen wieder im dänischen Trikot auf dem Feld stehen. Es wird für das ganze Land eine ziemliche emotionale Angelegenheit.
Trainer Hjulmand und die vielen Emotionen
Auch Dänemarks Trainer Kasper Hjulmand ist an diesem Morgen in Marbella in der Hotel-Lobby und spricht über Eriksen. Er sagt als erstes:
«Die Rückkehr von Christian ist eine sehr, sehr schöne Geschichte! Es wird ein Freudentag für das ganze Land. Denn eines ist klar: Sehr viele Menschen sterben nach einem Herzstillstand. Das passiert immer wieder und überall. Christian hat diesen Unfall überlebt – und wir alle haben die Emotionen rund um diesen Tag miteinander geteilt. Darum freuen wir uns unendlich, ist er wieder zurück.»
Als Eriksen am Mittwoch spät zum Team stiess, da haben ihn einige Teamkollegen zum ersten Mal seit der EM wieder gesehen. «Entsprechend emotional war es. Ein wunderbarer Abend»
Der Wechsel von Inter Mailand zu Brentford
Nach dem Herzstillstand wurde Christian Eriksen ein Defibrillator eingesetzt. Weil es in Italien indes verboten ist, damit Fussball zu spielen, musste Eriksen seinen Vertrag mit Inter Mailand auflösen. Im Winter schloss er sich dem FC Brentford in der Premier League an. Dort gab er Ende Februar sein Comeback.