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Abrisswelle gestoppt: Illegale Rustici und Maiensässe sollen stehen bleiben – wenn sie eine Bedingung erfüllen

Die befürchtete Abrisswelle ist vorerst gestoppt: Der Nationalrat hat sich mit knapper Mehrheit und gegen den Willen von Bundesrätin Sommaruga für eine 30-jährige Verjährungsfrist für illegale Bauten ausserhalb der Bauzone ausgesprochen. Der Ständerat dürfte dem Votum folgen.

Rustici im Tessin, Maiensässe im Kanton Graubünden, Chalets im Wallis. All diese Bauten haben eines gemeinsam: Sie prägen das Landschaftsbild. Doch sie stellen ein Problem dar, wenn sie illegal erstellt wurden, da ein fundamentales Prinzip der Raumplanung verletzt wird, namentlich die Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet. Was mit illegal umgebauten Häuschen ausserhalb von Bauzonen passieren soll, ist seit langem ein Zankapfel. Müssen sie abgerissen werden?

Das Bundesgericht hat im April 2021 einen wegweisenden Entscheid gefällt, wonach illegal erstellte Gebäude eines Werkhofs in der Landwirtschaftszone einer Luzerner Gemeinde zurückgebaut werden müssen, auch wenn die Vorgänge mehr als 30 Jahre zurückliegen. Es müsse klar sein, dass eine rechtswidrige Nutzung nicht geduldet werden könne, urteilten die Richter in Lausanne.

In Analogie könnten folglich alle Gebäude ausserhalb von Bauzonen einem Abrissbefehl unterliegen, auch wenn die illegalen Baupraktiken mehr als 30 Jahren zurückliegen. «Ein Leitentscheid des Bundesgerichts», wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga vor einigen Tagen im Nationalrat sagte.

Mehrheit stützt Motion von SVP-Nationalrat

Die Grosse Kammer diskutierte vergangene Woche über die Motion von Mike Egger (SVP/SG), der in Folge des Bundesgerichtsentscheids gefordert hatte, eine Verjährung anzuerkennen und somit die Pflicht zur Wiederherstellung des rechtmässigen Zustands der Liegenschaft nach 30 Jahren verwirken zu lassen. Er konnte die Mehrheit der Raumplanungskommission hinter sich scharen.

Dabei argumentierte er unter anderem mit der Rechtsgleichheit: «Die Diskrepanz wird geschaffen, da die Verjährung bei illegalen Bauten innerhalb der Bauzone weiterhin bestehen bleibt, bei Bauten ausserhalb der Bauzone aber nicht.»

Ausschlaggebend für die Wiedereinführung der Verjährung war auch die Tatsache, dass eine Umsetzung des Bundesgerichtsentscheids laut Kommissionsmehrheit einen unverhältnismässigen und nicht zu bewältigenden bürokratischen Aufwand mit sich bringen würde. Schweizweit befinden sich rund 595’000 Gebäude ausserhalb der Bauzone, aber lediglich ein Bruchteil davon ist illegal oder weist illegale Bauteile auf.

Gleichwohl hätte die Anwendung des Bundesgerichtsurteils dazu führen können, dass allein im Tessin 2000 Rustici hätten abgerissen werden müssen, da sie juristisch anfechtbar ausserhalb einer Bauzone stehen. Im Kanton Wallis wären nach Angaben der Kantonsverwaltung möglicherweise bis zu 1300 Objekte betroffen gewesen, knapp 330 davon im Oberwallis. Es sei in der Praxis kaum möglich, einen Abriss zu bewerkstelligen, sagte der Walliser Chefjurist Adrian Zumstein im «Walliser Boten»: «Der Aufwand wäre enorm, die Verfahren komplex und kostspielig.» Betroffen wären zudem Bauten in Graubünden, im Kanton Bern und in der Ostschweiz.

Im Wallis wären von der Abrisspflicht rund 1300 Objekte – darunter viele Chalets – betroffen.

Bundesrätin befürchtet Privileg für Bürger, die illegal bauen

«Selbst bei Mord gibt es eine Verjährung», argumentierte der SVP-Nationalrat Marcel Dettling in der emotional geführten Debatte. Doch Bundesrätin Simonetta Sommaruga (SP) warnte vor einer Annahme der Motion: «Diese Motion hat beträchtliche Folgen, bedeutet zusätzlichen Aufwand für die Vollzugsbehörden, weil sie dann nicht nur die Frage der Illegalität, sondern auch noch die der Verwirkung abklären müssen.» Vor allem aber würden mit einer solchen Regelung letztlich die Bürger privilegiert, die ohne Bewilligung widerrechtlich eine Baute erstellt hätten, zum Nachteil derjenigen, die sich an das Gesetz hielten.

Sommaruga vermochte die Mehrheit nicht zu überzeugen. Der Nationalrat folgte der Kommission und nahm den Vorstoss mit 92 zu 84 Stimmen bei einer Enthaltung an. Dafür stimmten die bürgerlichen Parteien, dagegen sprachen sich vor allem SP, Grüne und GLP aus. Auch bei den Vertretern der Bergkantone Wallis, Tessin und Graubünden gab es eine Rechts-links-Spaltung. Der Ständerat dürfte die Motion wohl mehrheitlich unterstützen.

In der Vergangenheit wurden Abrissbefehle teils nicht umgesetzt

Im Tessin stiess der nationalrätliche Entscheid auf Wohlwollen. Doch Claudio Zali, Direktor des Umwelt- und Baudepartements, erklärte auch, den Entscheid nicht überbewerten zu wollen: «Wir kehren zurück zum Zustand vor dem Bundesgerichtsentscheid.» Das Tessin ficht seit Jahren einen Kampf mit Bern um die Rustici aus. In einigen Fällen sind Abrissbefehle definitiv ergangen, aber nicht umgesetzt worden, weil sich Gemeinden und Baufirmen weigerten, diese zu vollziehen.

Dieses Problem hat auch Simonetta Sommaruga in der Debatte anerkannt, als sie meinte, gegen widerrechtlich erstellte Bauten ausserhalb der Bauzone angehen zu müssen: «Das ist Knochenarbeit und für die Behörden sehr unangenehm; sie werden angefeindet, es geht bis hin zu Bedrohungen.» Tatsache nach der ganzen Debatte ist: Illegal erstellte Gebäude ausserhalb von Bauzonen sollen nicht mehr abgerissen werden müssen, sofern sie älter als 30 Jahre sind. Vorausgesetzt, der Ständerat folgt dem Nationalrat.