Unter Protesten wurde «52 beste Bücher» abgesetzt – nun zeigt sich: Die neue SRF-Literatursendung funktioniert hervorragend
Hand aufs Herz, liebe Kulturfreunde: Neue Romane werden ausserhalb der Literatur-Bubble selten zum Gesprächsthema bei Abendessen, Apéros und Partys. Ich finde das sehr schade. Den vielen Kulturpessimisten, die dem Flaggschiff «52 beste Bücher» der SRF-Literatur nachtrauern, rufe ich nun zu: Das neue Literaturgefäss «Zwei mit Buch» bietet dafür einen willkommenen Crashkurs.
So kann man aus einem Small Talk abheben in ein unterhaltsames, persönliches, spannendes Gespräch über neue Bücher – und wenn man denn will, auch noch vielschichtig, stilkompetent und mit Tiefgang. Immerzu mit der Erlaubnis, vom Gegenstand abzuschweifen. Das kann sogar gelingen, wenn das Gegenüber diesen neuen Roman noch nicht gelesen hat.
So geht ein Crashkurs in gehobenem Small-Talk
Wer bis hierhin dachte, ich würde eine Polemik schreiben und verstecke meinen Spott hinter einer ironischen Maskerade, der irrt. Nein, «Zwei mit Buch» hat Charme, auch wenn man über den Titel spotten kann. Zuerst die beiden Moderatoren, dann das Buch – das ist eitel und hat die falsche Reihenfolge.
Ich gebe auch gerne zu: Nach den ersten Sätzen von Folge 1 wollte ich gleich wieder abschalten: «Sag mal Simon, bist du eigentlich zufrieden mit dir, so wie du bist?», fragt Felix Münger seinen Redaktionskollegen Simon Leuthold. Der antwortet: «Eigentlich schon», abgesehen vielleicht von seiner Ungeduld, ergänzt er. Mit solchem versteckten Selbstlob sollte man in keinen Small Talk starten. Gegenstand der Sendung wäre eigentlich der Roman «Ein simpler Eingriff» von Yael Inokai gewesen.
Nächste Frage: Würdest du, Simon, eine unangenehme Eigenschaft aus deinem Gehirn wegoperieren lassen? Da kommt er ins Grübeln. Geht ja doch, schon ist das Duo im Dreischritt im Thema des Romans. Das würde an einer Party auch besser funktionieren als das Snobistische: «Hast du den neuen Houellebecq gelesen?» Die Autorin Yael Inokai kommt später zu Wort und ein Psychiater erklärt, wie er heute noch Operationen am Gehirn durchführt, um extreme Stimmungsschwankungen seiner Patienten zu dämpfen.
Felix Münger hält fest: Man könne den Roman dystopisch, feministisch, historisch lesen. Und was ihm besonders gefallen habe: Dass die Sprache sich mit dem Temperament der Geschichte verändere, zuerst kühl und nüchtern im medizinischen Ambiente, dann blumiger, als eine Liebesgeschichte einen Ausweg in die Selbstbestimmung öffnet. Zwischenbilanz: gute Unterhaltung mit Substanz.
«Zwei mit Buch» bricht die Einwegkommunikation auf
Nach den ersten vier Folgen der Nachfolgesendung von «52 beste Bücher» ist mir der Clou dieses neuen Sendegefässes klar geworden. Hier soll Literatur plaudernd mit dem eigenen Leben verzahnt werden. Denn Literaturvermittlung ist leider viel zu oft Einwegkommunikation: Das gilt bei Besprechungen, Interviews, ja sogar bei Lesungen.
Und so heiss die Tränen des Stammpublikums über das abgesetzte Format «52 beste Bücher» sind: Auch dort lauschte man eher andächtig bis interessiert einem Fachgespräch. In einer idealen Welt der unbegrenzten Ressourcen könnte man ganz viele Literaturformate für alle möglichen Anspruchsgruppen senden. In unserer realen Medienwelt mit beschränkten Ressourcen auf dieses neue, frische Format zu setzen, ist mir jedoch recht.
Darf Literatur Spass machen? Ja doch!
Nun denn, zu bemängeln gibt es an «Buch für zwei» trotzdem einiges: Textpassagen werden kaum mehr vorgelesen, lieber lacht man über den Interviewhumor eines Autors oder lässt sich autobiografische Bezüge erklären; dass die Literaturvermittler übertrieben gut gelaunt plaudern müssen, wirkt irritierend, so als hätten sie schon vor der Sendung Apéro getrunken; Kritik sucht man mit der Lupe, aber das war auch bei «52 beste Bücher» nicht anders. Fazit: Literatur muss in «Zwei mit Buch» offenbar Spass machen. Gegenfrage: Darf es das nicht? Doch!
Small-Talk-Nabelschau liefert nicht immer die besten Bonmots
Dass eine Diskussion über Literatur mit Duzis und Mundart zwar volkstümlich ist, aber keineswegs plump sein muss, belegen die bisherigen Sendungen. Das Risiko einer Small-Talk-Nabelschau ist jedoch nicht von der Hand zu weisen. Wenn etwa Moderatorin Nicola Steiner in Folge 2 bekennt, dass sie gerne Bücher lese, weil sie ihr eigenes Leben so langweilig findet – dann ist das eher ein missglücktes Bonmot. Beim Apéro kann man es weglächeln. Denn auch auf diese Weise darf der unterschätzte Small Talk beginnen. Er kann eine Einladung zu einem offenen Gespräch sein, ein Angebot, um das Geistreiche, Charmante und Witzige des Gegenübers anzuregen.
Wo aber bleibt bei alledem das Traurige und Introvertierte, das doch die Literatur auch ausmacht? Nun, SRF hat jetzt in der Sparte Literatur kein Flaggschiff mehr, sondern ein paar Partyboote. Mir macht’s bisher Freude. Und ab und zu darf «Zwei mit Buch» gerne auch als U-Boot für Leise und Verträumte in See stechen.