Soll neu jeder automatisch zum Organspender werden? Darum geht es beim Transplantationsgesetz
Worüber stimmen wir beim Transplantationsgesetz ab?
Konkret geht es um die Organspende. Die Schweizer Bevölkerung entscheidet, ob die sogenannte erweiterte Widerspruchslösung eingeführt werden soll oder nicht. Diese sieht vor, dass künftig jede Person zu Lebzeiten festhalten muss, wenn sie alle oder einzelne ihrer Organe nicht spenden will.
Wer also seinen Willen nicht im Register des Bundes dokumentiert, gilt nach seinem Tod als Organspender. Doch was, wenn ich weiss, dass mein eben verstorbener Bruder seine Organe nicht spenden will, dies aber nirgends festgehalten hat? Hier gibt es viel Spielraum für die Angehörigen: Wenn eine Person zeitlebens nie festgehalten hat, ob sie Organe spenden möchte oder nicht, werden die Angehörigen miteinbezogen.
Sie können eine Organentnahme ablehnen, wenn sie wissen oder vermuten, dass sich die betroffene Person dagegen entschieden hätte. Sind die nächsten Angehörigen nicht erreichbar, ist eine Organentnahme verboten. Das heisst: Ist kein Wille dokumentiert, ist die Zustimmung der Angehörigen zwingend.
Weshalb kommt es zu einer Volksabstimmung?
2019 wurde die Volksinitiative «Organspende fördern – Leben retten» eingereicht. Parlament und Bundesrat lehnten die Initiative ab und erarbeiteten einen indirekten Gegenvorschlag. Dieser kommt nun zur Abstimmung, weil die Gegner der Widerspruchslösung erfolgreich das Referendum ergriffen. Das Initiativkomitee hat seine Initiative bedingt zurückgezogen. Heisst: Tritt der Gegenvorschlag in Kraft, ist die Volksinitiative vom Tisch. Wird er abgelehnt, kommt die Initiative zu einem späteren Zeitpunkt zur Abstimmung.
Ab welchem Alter soll die neue Regelung gelten?
Die erweiterte Widerspruchslösung soll künftig für alle Personen ab 16 Jahren gelten. Für alle unter 16-Jährigen obliegt der Entscheid den Eltern – sie müssen allerdings die Meinung des Kindes berücksichtigen.
Wie ist die Organspende heute geregelt?
Aktuell gilt in der Schweiz die erweiterte Zustimmungslösung. Einer verstorbenen Person dürfen heute nur dann Organe, Gewebe oder Zellen entnommen werden, wenn sie einer solchen zeitlebens zugestimmt hat und dieser Wunsch festgehalten ist. Wenn der Wille der Person nicht bekannt ist, müssen die engsten Angehörigen entscheiden, ob eine Organspende in Frage kommt oder nicht. Die Erfahrung zeigt: In den meisten Fällen lehnen die Angehörigen in einer solchen Situation die Entnahme von Organen ab.
Wie gross ist der Bedarf nach Spenderorganen?
Gemäss Angaben von Swisstransplant warten aktuell über 1400 Personen auf ein Spenderorgan. Jede Woche sterben eine bis zwei Personen, weil für sie kein passendes Organ gefunden werden konnte. Obwohl laut diversen Umfragen die Spendebereitschaft in der Schweiz relativ hoch ist – sie liegt bei ungefähr 80 Prozent –, bleiben die Spenderzahlen tief. Das Potenzial wird aktuell also nicht ausgeschöpft.
Wie sieht die Regelung in anderen Ländern aus?
In den meisten europäischen Ländern gilt bereits jetzt die Widerspruchslösung. In einigen davon – beispielsweise Österreich, Frankreich, Spanien und Italien – werden die Angehörigen wie bei der für die Schweiz vorgesehenen Regelung in die Entscheidung miteinbezogen, in anderen nicht. Zahlen zeigen, dass in vielen Ländern mit der Widerspruchslösung die Spenderate höher ist als in Ländern mit der Zustimmungslösung. Diese Entwicklung lässt sich allerdings nicht in allen Ländern mit Widerspruchslösung erkennen.
Wann würde die Widerspruchslösung eingeführt?
Stimmt die Bevölkerung der Änderung des Transplantationsgesetzes zu, könnte die neue Regelung frühestens im kommenden Jahr eingeführt werden. Insbesondere, weil der Bund zuerst die gesamte Bevölkerung über den Systemwechsel informieren und ein Register aufbauen muss.
Wer befürwortet die erweiterte Widerspruchslösung mit welchen Argumenten?
Bundesrat und Parlament sowie die Stiftung Swisstransplant empfehlen die Vorlage zur Annahme. Viele Parteien sind nicht geeint einer Meinung, da es sich mehr um eine persönliche als eine politische Frage handelt. Grundsätzlich befürworten die Grünen, SP, FDP und Die Mitte die Änderung des Transplantationsgesetzes, sie verweisen auf die positiven Erfahrungen mit dieser Regelung im Ausland.
Mit dem Wechsel zur Widerspruchslösung soll die Gesundheit jener Menschen verbessert werden, die auf ein gespendetes Organ angewiesen sind. Zudem sind die Befürworter überzeugt, dass das neue Vorgehen «zu mehr Klarheit und damit zu einer Entlastung für die Angehörigen» führt. Mit der Möglichkeit, sich zeitlebens gegen eine Organspende aussprechen zu können, würden auch ethische Bedenken berücksichtigt, so die Befürworter. Die Organspende bleibe daher auch in Zukunft freiwillig, niemand müsse gegen seinen Willen Organe spenden.
Wer sind die Gegner, was sind ihre Argumente?
Die Gegnergruppierung setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern diverser Organisationen zusammen. Auch die SVP und die EVP stellen sich gegen die Vorlage. Die Gegner erachten die Widerspruchslösung als «ethisch fragwürdig». Für sie ist klar: Schweigen bedeutet nicht Zustimmung. Die Widerspruchslösung würde «unweigerlich dazu führen, dass Personen gegen ihren Willen Organe entnommen werden», so die Gegner.
Sie erachten es als unmöglich, dass alle über 16-jährigen Schweizerinnen und Schweizer über die Widerspruchslösung informiert werden können. Zudem befürchtet das Referendumskomitee, dass die Angehörigen zusätzlich unter Druck geraten, weil sie gegen eine Organentnahme Widerspruch einlegen können, wenn der Verstorbene seinen Wunsch zeitlebens nicht festgehalten hat.