Sie sind hier: Home > Schweiz und Welt > «Das Schrecklichste, was ich in meinem Leben gesehen habe»: Selenski empfängt CNN-Star – und zeigt Gefühle

«Das Schrecklichste, was ich in meinem Leben gesehen habe»: Selenski empfängt CNN-Star – und zeigt Gefühle

In einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN gibt der ukrainische Präsident offenherzig Auskunft über den Kriegsverlauf. Konzessionen an Russland lehnt Wolodimir Selenski entschieden ab. Er spricht auch über seine Familie.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hat am Wochenende in einem langen Interview mit dem amerikanischen Star-Fernsehjournalisten Jake Tapper Auskunft über den Kriegsverlauf gegeben. In Kiew sprach Selenski offen über das Leiden der Zivilbevölkerung in der Ukraine, Heldentum und den amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Hier seine wichtigsten Antworten.

Selenski über die anstehende Offensive im Osten der Ukraine

Die Schlacht um den Donbass ist sehr wichtig. Wir haben dort einige unserer besten Truppen stationiert. Russland will sie einkreisen und zerstören. Es sind fast 40’000 professionelle Soldaten. Deshalb ist es für uns ausserordentlich wichtig, diesen Teil unserer Streitkräfte zu bewahren. Diese Schlacht kann den Verlauf des ganzen Kriegs beeinflussen.

…über die Belagerung von Mariupol

Die Lage in Mariupol ist sehr schwierig. Es ist klar, dass es nicht besser wird. Niemand weiss, wie viele Menschen unter der Zivilbevölkerung starben. Wenn jemand eine genaue Zahl nennt, wäre das eine totale Lüge. Hunderttausende Menschen wurden evakuiert. Zehntausende mussten in Richtung Russland evakuiert werden. Und wir wissen nicht, wo sie sind.

…über das Leiden der Zivilbevölkerung

Das ist das Schrecklichste, was ich in meinem Leben gesehen habe. Ich sehe das zunächst einmal als Vater. Es tut so sehr weh. Es ist eine Tragödie. Ich kann mir das Ausmass des Leidens dieser Menschen nicht vorstellen. Wir leben für unsere Kinder. Kinder sind das Beste, was Gott uns gegeben hat. Die Menschen haben das Beste verloren. Es ist das Ergebnis des russischen Kriegs. Sie kamen und nahmen den Menschen das Wichtigste weg. Wie kompensiert man den Verlust eines Kindes? Ich glaube nicht, dass es auf diese Frage eine Antwort gibt.

…über die Beteuerung der Weltgemeinschaft, einen neuerlichen Genozid verhindern zu wollen

Ich glaube der Welt nicht, nachdem wir gesehen haben, was in der Ukraine vor sich geht. Ich glaube den Worten nicht. Wenn Sie unser Freund oder Partner sind, geben Sie uns eine Waffe, unterstützen Sie uns, geben Sie uns Geld und stoppen Sie Russland! Der einzige Glaube, den wir haben, ist der Glaube an uns selbst, an unser Volk, der Glaube an unsere Streitkräfte und der Glaube, dass die Länder uns nicht nur mit ihren Worten, sondern auch mit ihren Taten unterstützen werden. Nie wieder! Alle reden davon, und doch, wie Sie sehen, haben nicht alle den Mut dazu.

…über die Frage, ob Russland einen Genozid verübt

Schauen Sie, was in Butscha passiert ist! Es ist klar, dass das kein Krieg ist. Es ist ein Völkermord. Sie haben Leute auf der Strasse erschossen. Leute, die mit dem Velo fuhren, den Bus nahmen oder einfach nur die Strasse entlang gingen. Das waren keine Soldaten. Wir haben stichhaltige Beweise, die darauf hindeuten, dass dies ein Völkermord ist. Ich wusste nicht, dass es einen solchen Hass des russischen Militärs auf das ukrainische Volk gibt.

…über einen möglichen Besuch von US-Präsident Joe Biden

Ich möchte, dass Biden nach Kiew kommt. Und ich glaube, er wird kommen. Natürlich ist es seine Entscheidung. Und es kommt auf die Sicherheitslage an. Aber ich glaube, er ist der Anführer der Vereinigten Staaten und deshalb sollte er hierherkommen.

…über amerikanische Waffenlieferungen

Wir brauchen mehr. Aber ich bin froh, dass er uns hilft. Wir führen einen Dialog, der nicht immer einfach war. Es gibt nicht viele Länder, die uns wirklich helfen. Die Unterstützung durch die USA wird nie genug sein. «Genug» ist nicht möglich.

…über mögliche Verhandlungen mit Russlands Präsidenten

Wenn es die Möglichkeit gibt, miteinander zu sprechen, werden wir sprechen. Wir sollten es versuchen. Wir wollen unser Land befreien, uns zurückholen, was uns gehört. Wir können zehn Jahre gegen Russland kämpfen, um uns das zu nehmen, was uns gehört. Wir können aber nicht allein kämpfen. Wir benötigen Material. Einige Länder bieten einfach keine Hilfe an. Deshalb muss man Abwägungen treffen. Wir müssen das Leben der Menschen schützen, den eigentlichen Helden.

…über territoriale Konzessionen der Ukraine

Unsere Botschaft ist klar. Wir wollen kein Territorium von anderen Ländern, und wir werden unser eigenes nicht aufgeben.

…über den Freiheitskampf der Ukrainer

Ich glaube, die Art und Weise, wie wir für unsere Freiheit kämpfen, ist die wichtigste Botschaft. Das ukrainische Volk zeigt durch seine Taten, dass es die Freiheit schützt. Und wenn unsere Bevölkerung nicht in der Lage sein sollte, die Freiheit im eigenen Land zu schützen, wäre das ein Signal an alle anderen Länder.

Wie er, Präsident Selenski, in Erinnerung bleiben möchte

Als ein Mensch, der das Leben in vollen Zügen lebte und seine Familie liebte, und sein Vaterland liebte. Kein Held, das ist sicher. Ich möchte, dass die Leute mich so nehmen, wie ich bin: ein normaler Mensch.

…über seine Helden

Nur die Menschen. Ich glaube, unsere Bevölkerung ist genial und einmalig. Und ich kann es mir einfach nicht leisten, schlechter als sie zu sein. Ich muss der stärkste sein, in dieser Situation. Am wichtigsten ist, wie meine Kinder mich anschauen. Sie müssen stolz auf mich sein.