SVP-Vorstoss für die Aufhebung des AKW-Bauverbots steht auf der Kippe
Das umstrittenste Traktandum an der Grossratssitzung vom Dienstag dürfte ein Antrag der SVP-Fraktion sein. Sie will erreichen, dass der Aargau via Standesinitiative die Bundesversammlung einlädt, den Artikel 12a des Kernenergiegesetzes ersatzlos zu streichen. Das würde es dem Bundesrat erlauben, eine Rahmenbewilligung für den Bau oder den Betrieb eines neuen Atomkraftwerks auszusprechen. Welche Chancen hat der Vorstoss im Grossen Rat?
FDP: «Wir unterstützen den Vorstoss einstimmig»
«Wir haben den Vorstoss in der Fraktionssitzung schon vor einer Woche behandelt. Vier Fraktionsmitglieder fehlten, doch die Anwesenden entschieden einstimmig, den Vorstoss zu unterstützen.» Das sagt FDP-Fraktionschef Silvan Hilfiker. Glaubt er denn, damit könne man die befürchtete Strommangellage angehen? Hilfiker winkt ab: «Kurz- und mittelfristig braucht es andere Massnahmen, um die schon 2025 befürchtete Mangellage abzuwenden. Uns geht es darum, sich keiner Technologie zu verschliessen.» Will die Aargauer FDP denn neue AKW? «Uns geht es darum, für die Zukunft alle Optionen offen zu halten bzw. wieder zu öffnen», antwortet Hilfiker.
Die Mitte: «Wir lehnen einstimmig ab»
Ganz anders tönt es bei Alfons Paul Kaufmann, Fraktionschef Die Mitte: «Unsere Fraktion hat schon entschieden. Wir lehnen den Vorstoss einstimmig ab. Es ist nicht der Moment, das Baumoratorium zu kippen, zumal die Forschung weiterhin möglich ist.» Wann wäre denn der Moment dafür? «Was in fünf, sechs Jahren sein wird, wissen wir nicht», sagt Kaufmann, man fände aber sowieso nirgendwo einen Investor, die Reaktoren der vierten Generation wären ihm zu wenig sicher, und, so Kaufmann: «Die Kosten für den Rückbau der KKW werden, so wie es sich in Mühleberg abzeichnet, derart hoch sein, dass sich die Frage nachher nicht mehr stellen wird.» In der Mitte setze man jetzt voll auf Wasser, Sonne und Wind. Solange die bestehenden KKW sicher betrieben werden können, sollen sie Strom produzieren. Sollte sich am Schluss die Frage einer Laufzeitverlängerung stellen, müsse man das separat anschauen.
«Wir haben schon ganz zu Beginn über unsere Fraktion hinaus Gespräche geführt», sagt SVP-Fraktionschefin Desirée Stutz: «Ich würde es sehr bedauern, wenn Die Mitte, die sich ja auch immer noch bürgerlich nennt, tatsächlich Nein stimmen sollte. Wir werden in der Debatte alles versuchen, um mit unseren Argumenten Stimmen zu uns herüber zu holen, allenfalls auch von der GLP.» Die grünliberale Fraktion wird erst heute vor der Parlamentssitzung definitiv entscheiden: «Ich gehe davon aus, dass wir den Vorstoss einhellig ablehnen werden», sagt Fraktionschefin Barbara Portmann dazu.
SP: diese Forderung ist völlig falsch und wirtschaftlich unsinnig
Glasklar ist die Sache für die SP. Sie wehrt sich vehement gegen den SVP-Vorstoss. Forderungen nach neuen AKW seien «völlig falsch, wirtschaftlich unsinnig, für das Klima kontraproduktiv und demokratisch sehr bedenklich», schreibt sie in einer Mitteilung. Der Atomausstieg basiere auf einem klaren Volksentscheid von 2017, so Nationalrätin Gabriela Suter: «Dieser muss respektiert werden. Für dessen Aufhebung findet sich keine Mehrheit in Bern.» Die neue SP-Co-Präsidentin Nora Langmoen doppelt nach: «Der Atomstrom ist zwei- bis dreimal so teuer wie jener aus grösseren Fotovoltaikanlagen. Das lohnt sich wirtschaftlich nicht. Es gibt deshalb niemanden, der in neue AKW investieren will, das sagen auch der CEO der Axpo und der Präsident von Alpiq.»
SVP- und FDP-Fraktion haben 66 der 140 Grossratssitze – reicht das?
Angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Grossen Rat ist es sehr unsicher, ob die SVP mit ihrem Vorstoss durchkommt. Ihre Fraktion (dazu gehören auch die beiden EDU-Vertreter) sowie die FDP stellen zusammen 66 Sitze. Die Mitte, GLP, EVP, SP und Grüne, die ablehnen werden, haben zusammen 74 Sitze. Um weiter zu kommen, würde laut Parlamentssekretärin Rahel Ommerli ein einfacher Mehrheitsbeschluss reichen. Denn heute wird ja über die Erheblicherklärung (das heisst weitere Prüfung des Anliegens durch die Kommission) abgestimmt. Das Schicksal des Vorstosses könnte angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse sogar davon abhängen, auf welcher Ratsseite mehr Grossrätinnen und Grossräte heute fehlen.