Glasklare Fronten in der AKW-Debatte im Grossen Rat
Die Tribüne war gut besetzt, das Interesse der Medien und der Öffentlichkeit an der Debatte über einen AKW-Vorstoss der SVP war gross. Die grösste Partei im Aargau wollte per Direkt-beschluss eine Standesinitiative ins Rollen bringen. Damit sollten die eidgenössischen Räte dazu bewogen werden, das seit der Abstimmung über die Energiestrategie 2050 geltende Verbot für den Bau neuer AKW aus dem Kernenergiegesetz zu kippen. Würde es gelingen?
Die SVP- und die FDP-Fraktion (die den Vorstoss einstimmig unterstützte) stellen zusammen 66 der 140 Grossrätinnen und Grossräte. Das in diesem Fall gegnerische Lager, bestehend aus Mitte, GLP, EVP, SP und Grünen, hält 74 Sitze. Auf dem Papier ein klarer Fall. Doch würden wirklich alle gemäss ihrer Fraktionsparole stimmen? Könnte sich das Kräfteverhältnis durch Abwesenheiten verändern? Um es vorweg zu nehmen: Im gegnerischen Lager fehlten in der entscheidenden Abstimmung vier, im befürwortenden Lager zwei Grossrätinnen und Grossräte.
Deshalb hatten die befürwortenden Fraktionen nur 64 statt 66, die Gegner nur 70 statt 74 potenzielle Stimmen. Doch da sich alle strikt an ihre Fraktionsparole hielten, gab es keinen einzigen Überläufer, es kam nicht einmal zu einem Patt, bei dem Ratspräsidentin Elisabeth Burgener (SP) den Stichentscheid hätte geben können. Der Vorstoss der SVP wurde mit 70 zu 64 Stimmen abgelehnt.
SVP: Der Aargau hat 2017 die Energiestrategie abgelehnt
In der Debatte zogen die Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen alle Register. Markus Gabriel erinnerte für die SVP daran, dass der Aargau 2017 die nationale Energiestrategie (mit Bauverbot für neue Atomkraftwerke) abgelehnt hat. Eine Standesinitiative wäre der erste Schritt, das AKW-Baumoratorium aufzuheben, warb er und verwies darauf, der Stromverbrauch steige stetig, allein 2021 um 4,3 Prozent. Gleichzeitig sei die Produktion gesunken. Die AKW hätten letztes Jahr 29 Prozent des Stroms produziert. Sie liefern Bandenergie und emittieren sehr wenig CO2. Sie seien eine der günstigsten Energien, so Gabriel weiter. Natürlich gebe es radioaktive Abfälle, ein Störfall sei nicht gänzlich auszuschliessen. Doch für ihn war klar: der Vorstoss gehört unterstützt.
FDP: «Historischen Fehler von 2017 korrigieren»
Unterstützung gab Adrian Meier (FDP). Er kritisierte, die Energiestrategie 2050 sei davon ausgegangen, «dass wir ab 2035 zur Behebung der Winterstromlücke Gaskombikraftwerke benötigen würden. Nur wurde dies wissentlich dem Volk in der Abstimmung 2017 verschwiegen». Die Energiestrategie ging auch vom Irrtum aus, dass der Stromverbrauch künftig sinken würde, so Meier weiter. Dem sei aber nicht so. Der «historische Fehler von 2017» müsserückgängig gemacht werden, das Verbot im Kernenergiegesetz gehöre aufgehoben. Kernenergie könne Teil der Lösung sein, bis 2050 das klimapolitische Ziel Netto-Null zu erreichen.
Grüne: Den Leuten nicht Sand in die Augen streuen
Mit ihren Einschätzungen blieben die Sprecher von SVP und FDP allerdings allein. Jonas Fricker (Grüne) etwa kritisierte, neue AKW seien keine nachhaltige Antwort auf die aktuellen Herausforderungen. Man wolle keine Technologie, die auch nur das kleinste Risiko beinhalte, «dass der ganze Kanton Aargau für Generationen unbewohnbar wird». Er teile die Auffassung der früheren Bundesrätin Doris Leuthard, damit würde man den Leuten sonst bloss Sand in die Augen streuen.
Genau gleich tönte es bei Gabi Lauper-Richner (SP). Sie hielt Gabriel entgegen, dass die Energiestrategie mit 58 Prozent Ja vom Schweizervolk beschlossen worden sie. Dies sei umzusetzen, nicht zu kippen. Nötig sei endlich eine richtige Solaroffensive.
Mitte: Es gibt kein Verbot für die Kernforschung
Für Christian Minder (EVP) ist der Grosse Rat nicht die zuständige Instanz für das Thema. Momentan wolle niemand ein AKW bauen oder finanzieren. Der Vorstoss bringe keinen Nutzen. Ähnlich tönte es bei Gian von Planta (GLP). Es gebe keine Firma, die AKW bauen würde, niemand würde investieren, es wäre zu teuer. Der Vorstoss sei eine politische Nebelpetarde. Alfons Paul Kaufmann (Die Mitte) erläuterte das einstimmige Nein seiner Fraktion, dies in Absprache mit der Bundeshausfraktion. Es gebe gar kein AKW-Forschungsverbot. Um eine Strommangellage auszuschliessen, müsse man die verfügbaren Technologien wie Wasser, Wind und Sonne konsequent nutzen, forderte er.