60 Jahre Stiftung azb: Am Samstag können endlich die Türen wieder öffnen
«Ich komme sofort», ruft eine junge, aufgestellte Frau, die gerade noch mit ihren Kolleginnen die Arbeitspause in der Stiftung azb geniesst. Dann packt sie den Joystick, steuert ihren Rollstuhl rückwärts vom Tisch weg und fährt Richtung Aussenbereich. Schnell und präzise lenkt sie ihr Gefährt, rücksichtsvoll, sobald «Gegenverkehr» im Anzug ist. Die junge Frau heisst Leila Weidlich, ist 27 Jahre alt und seit ihrer Geburt auf den Rollstuhl angewiesen. «Sauerstoffmangel», sagt sie erklärend. Aufgewachsen ist sie in «Bueri», wie die Einheimischen das luzernische Buchrain benennen. Seit bald zehn Jahren wohnt und arbeitet sie in der Stiftung azb. Ihren Arbeitsplatz hat Leila Weidlich in der Konfektionsabteilung, wo sie beispielsweise Schokolade in «Märlihäuser» verpackt, Ersatzteilsets für Franke-Kaffeemaschinen zusammenstellt oder Trisa-Zahnbürsten konfektioniert. Was sie am liebsten macht? «Uh, das ist schwierig zu sagen», meint sie, überlegt dann kurz und fügt an: «Eigentlich mache ich alles gern.»
Gut zu wissen
Vor Ort sind keine Parkplätze verfügbar. Besucherinnen und Besucher benützen bitte den öffentlichen Verkehr oder die Gratis-Parkplätze bei der Müller Martini AG in Zofingen (Gratis Shuttle-Service zum azb sowie zum Dorfmuseum).In den Innenbereichen der Stiftung ist das Tragen einer Schutzmaske zum Schutz der azb-Mitarbeitenden obligatorisch (Masken werden zur Verfügung gestellt).
Eine Aussage, über die sich auch André Rötheli, seit 2006 Geschäftsführer der Stiftung azb, freut. «Menschen mit Unterstützungsbedarf sollen sich bei uns wohl fühlen», betont er. Wichtig sei dabei, dass auf die Mitarbeitenden an den geschützten Arbeitsplätzen kein Leistungsdruck ausgeübt werde, damit sie sich auch ihren Fähigkeiten entsprechend entfalten könnten. Die Stiftung azb könne sich glücklich schätzen, über eine grosse Auswahl an modern ausgerichteten Arbeitsplätzen zu verfügen, die einen Vergleich mit dem ersten Arbeitsmarkt nicht zu scheuen brauchten, fügt Rötheli weiter an.
Fernziel selbständiges Wohnen
Doch zurück zu Leila Weidlich, die stolz darauf ist, ihr Leben möglichst selbständig leben zu können. Sie zeigt auf ihr Handy, das in einer Halterung am Rollstuhl befestigt ist. «Mit dem Handy kann ich alle Einrichtungen im Zimmer bedienen: Fernseher, Storen, DVD-Player», sagt sie und fügt stolz an: «Ich war die erste Person im azb, welche diese Einrichtungen erhielt.»
Ebenso eindrücklich auch, dass Leila Weidlich einmal im Monat ohne Hilfe ihre mittlerweile in Sins wohnhaften Eltern besucht. Von Zofingen über Luzern und Rotkreuz nach Sins – rund zweieinhalb Stunden sei sie jeweils unterwegs.
«Eine halbe Weltreise», wie sie lachend ausführt. Aber es sei ihr wichtig, in den Interregio-Zügen unterwegs zu sein, um nicht die Unterstützung der Bahnhofhilfe in Anspruch nehmen zu müssen, die es bei den Intercity-Zügen brauche.
Ein möglichst unabhängiges Leben führen zu können – das ist das grosse Thema im Leben der kleingewachsenen Frau. Ihr grösster Wunsch ist es denn auch, einmal selbständig wohnen zu können, worin sie von der Siftung azb bestmöglich unterstützt wird. «Noch bin ich leider nicht so weit», bedauert sie.
Unabhängig zu sein, das ist auch Urs Hediger wichtig. Er ist nach einer Ausfahrt mit seinem Peugeot-Cabriolet an seinem freien Tag extra für den Interview-Termin nach Strengelbach gefahren. Der 58-jährige kommt aus Aarburg, nach einer Mechanikerlehre stellten sich bei ihm im Alter von 23 Jahren gesundheitliche Probleme ein. Seit Juni 1993 ist er in der Abteilung Mechanik im azb tätig. «Die Vielseitigkeit der Arbeiten gefällt mir, insbesondere auch, weil ich die Maschinen teilweise selbständig einrichten kann, um beispielsweise Gewinde zu schneiden», sagt er. Ebenso gerne arbeite er aber auch an computergesteuerten Maschinen.
«Wir produzieren in der Stiftung azb mit modernsten Mitteln», betont André Rötheli, sonst könnten wir preislich und qualitativ gar nicht mithalten. So überrascht es denn nicht, dass unter anderem namhafte Firmen wie Franke Kaffeemaschinen Aarburg, Müller Martini Zofingen, GE Grid (Switzerland) Oberentfelden, Hunkeler AG Wikon, Franke Water Systems/KWC Unterkulm, Schenker Storen Schönenwerd, Velux Schweiz AG Trimbach oder die Chocolat Frey Buchs die Referenzliste der Stiftung azb zieren.
Vorfreude auf das Fest ist gross
Nach einem zweijährigen Unterbruch kann nun die Stiftung azb am kommenden Samstag, 21. Mai, von 9 bis 15 Uhr, endlich wieder ihre Türen für die Bevölkerung öffnen. Entsprechend gross ist die Vorfreude der Menschen im azb auf den sehnlichst erwarteten Tag. «Ich freue mich auf den Tag der offenen Tür, der endlich wieder stattfinden kann», sagt Leila Weidlich, «weil ich es gut finde, wenn andere Leute sehen können, was wir machen.»
«Man merkt am Abend jeweils sehr gut, dass alle ‹auf den Stümpen› sind», sagt André Rötheli. Deshalb findet der Tag der offenen Tür auch immer in der Woche vor Auffahrt statt. «Mit der Brücke über Auffahrt geben wir den Leuten die Möglichkeit, sich von den Strapazen der Vorwoche zu erholen», betont der Geschäftsführer.
Besucherinnen und Besucher können sich bei freien oder geführten Rundgängen durch die Geschützten Werkstätten, die Räumlichkeiten der beruflichen Integration und der Wohngruppe Ticino ein Bild vom Leben und Arbeiten in der Stiftung azb machen. Auch die Mitarbeitenden der azb-Schreinerei an der Brittnauerstrasse 14 sowie das Gartenteam an der Bergackerstrasse 5 freuen sich auf möglichst viel Besuch.
Ein gewohnt attraktives Rahmenprogramm mit dem beliebten Marktplatz mit kreativen Eigenprodukten, vor Ort gebackenem Brot und Berlinern, Nostalgie-Karussell und musikalischer Begleitung durch die Folk- & Rockband Loreley sorgt für viel Abwechslung am Hauptstandort.
Daneben ist auch die Ausstellung zur mittlerweile 60-jährigen Geschichte der Stiftung azb im Dorfmuseum Graberhaus von 10 bis 14 Uhr geöffnet. Sie zeigt den Wandel des im Januar 1962 gegründeten «Arbeitszentrums für Behinderte» zur heutigen Stiftung azb – einem renommierten Unternehmen, das vielfältige Dienstleistungen für Menschen mit Unterstützungsbedarf, Gesellschaft sowie Wirtschaft erbringt. Insgesamt werden heute rund 400 Menschen mit Unterstützungsbedarf von rund 250 Mitarbeitenden im Wohn-, Arbeits-, Ausbildungs- und Integrationsalltag begleitet und betreut. «Der Tag der offenen Tür ist für uns in erster Linie ein Begegnungstag: mit Angehörigen, Freunden, Bevölkerung, Kunden und Behörden. Das ist wichtig und schön», betont André Rötheli.