Neues Europa-Papier der SP: Jetzt will die Partei den EU-Beitritt – in drei Schritten
Mehr Mitbestimmung und die Stabilisierung des Friedens in Europa: Das sind die zwei grössten Vorteile, welche die SP in einem EU-Beitritt der Schweiz sieht. Am Mittwoch veröffentlichte die Partei auf Twitter ein neues Europa-Papier, das durch den europapolitischen Ausschuss der Partei erarbeitet wurde und nun den Parteigremien vorgelegt wird. Der Ausschuss unter der Leitung von Nationalrat Jon Pult, der als EU-Freund bekannt ist, schreibt im Papier:
«Ein gut ausgehandelter EU-Beitritt ist die beste Option für die Schweiz.»
Der bilaterale Weg sei nur die zweitbeste Lösung und lediglich als gebotener Zwischenschritt anzustreben.
Damit legt die SP offen, was das SP-Co-Präsidium mit Mattea Meyer und Cedric Wermuth jüngst mehrfach angedeutet hatte – etwa in einem Meinungsbeitrag bei CH Media: Die SP strebt einen EU-Beitritt an. Nicht von heute auf morgen, sondern in einem 3-Schritte-Plan. Dieser sieht Beitrittsverhandlungen ab 2027 vor.
In einer ersten Phase soll die Schweiz mit der EU ein Stabilisierungsabkommen aushandeln. Es soll spätestens Ende 2023 vorliegen und auf fünf Jahre befristet sein. Darin würde die Teilnahme an Kooperationsprogrammen wie Horizon Europe und Erasmus geregelt.
Auf dem Stabilisierungsabkommen aufbauend sind ab 2023 Verhandlungen über ein «Wirtschafts- und Kooperationsabkommen» anzustreben. Dieses würde Fragen des Marktzugangs regeln – und laut SP bereits «die meisten Probleme des bilateralen Wegs lösen». Spätestens auf Anfang 2028 soll das Abkommen in Kraft treten.
Ab 2027 soll der EU-Beitritt der Schweiz in Form eines Beitrittsgesuchs aufgegleist werden.
Die Schweiz müsse bei den relevanten Entscheiden in Europa mitbestimmen, um souverän zu bleiben – und das könne sie nur als EU-Mitglied, steht im Papier. «Der Bilateralismus gaukelt Einflussmöglichkeiten vor, wo kaum welche vorhanden sind.» So sei die Schweiz aufgrund der Guillotine-Klausel in den Bilateralen I bei jeder Abstimmung vor die Wahl gestellt, entweder der entsprechenden EU-Rechtsentwicklung zuzustimmen oder die ganzen Bilateralen I aufs Spiel zu setzen.
Es liege im Interesse der Schweiz, das europäische Friedensprojekt zu stärken. Auch dank der EU sei es heute unvorstellbar, dass sich Deutschland und Frankreich bekriegen würden. Mit dem Angriff von Russland auf die Ukraine müsse das europäische Friedensprojekt stabilisiert werden, was durch engere wirtschaftliche und politische Kooperation zu erreichen sei.
Weitere Vorteile sieht die SP in einem stärkeren Grundrechtsschutz, der in der EU stärker ausgebaut sei, in einer fortschrittlicheren Klimapolitik sowie einer progressiveren Gleichstellungspolitik.
Die grösste Herausforderung sehen die Sozialdemokraten in der Reform der direktdemokratischen Instrumente, die durch einen EU-Beitritt nötig würde. Da Europarecht über dem Landesrecht stehe, könnten Volksentscheide, welche dem EU-Recht widersprechen, nicht vollständig umgesetzt werden. Die SP könnte sich jedoch die Schaffung eines neuen direktdemokratischen Instruments vorstellen, welche dies abfedern würde.
Auch der Bundesrat und das Parlament müssten reformiert werden. Sieben Bundesratsmitglieder wären zu wenig, und auch das System des rotierenden Bundespräsidiums würde an seine Grenzen stossen. «Der notwendige Umbau der Schweizer Regierung wäre kein einfaches Unterfangen, bietet aber auch grosse Chancen mit Blick auf eine längst notwendige Reform von Behörden und Verwaltung auf Bundesebene», so die SP.
Weitere Nachteile sieht die SP in einer Verdoppelung der Mehrwertsteuer auf 15 Prozent, in jährlichen milliardenschweren Beitragszahlungen an die EU sowie beim inländischen Lohnschutz.
Alternativen zum EU-Beitritt, wie ein EWR-Beitritt oder eine Art «Brexit-Lösung», verwirft der SP-Ausschuss im Papier. Den bilateralen Weg bezeichnet sie als «instabil»: Ohne institutionelle Klärung sei der bilaterale Weg blockiert. Er stosse aktuell an seine Grenzen und führe zu einem Reformstau. Für den SP-Ausschuss überwiegen die Vorteile eines EU-Beitrittes «eindeutig» die Nachteile.
SP hofft auf rasche Änderung der Mehrheitsverhältnisse
Man sei sich bewusst, dass ein EU-Beitritt in der Schweiz kurzfristig nicht mehrheitsfähig sei. Doch: «Mehrheitsverhältnisse können sich rasch ändern: Zwischen der klaren Ablehnung und der klaren Annahme des Frauenstimmrechts vergingen beispielsweise nur zwölf Jahre.» Darum wolle die SP die Beitritts-Option wieder in die öffentliche Debatte einbringen.