Im russischen TV jubeln sie bereits – 3 wichtige Entwicklungen im Ukraine-Krieg
1. Entwicklung an der Front
Der Krieg in der Ukraine dauert schon mehr als drei Monate. Die Gefechte haben sich auf den Osten und den Süden des Landes verlagert. Zunächst steckten die russischen Streitkräfte auch dort fest. Nun scheinen sie im Donbas ein gewisses Momentum zu haben.
Schnell kommen die Russen zwar nicht voran. Pro Tag sind es höchstens einige Kilometer. Und doch ist es ihnen gemäss eigenen Angaben gelungen, die strategisch wichtige Stadt Lyman einzunehmen. Rund um die Stadt Popasna konnten sie ebenfalls einige Gebietsgewinne verzeichnen.
Durch pausenlosen Artillerie-Beschuss machen die Russen ganze Wohngebiete dem Erdboden gleich. Von der Stadt Rubizhne ist nicht viel übrig geblieben, wie Bilder zeigen, welche die BBC kürzlich veröffentlicht hat.
Das Hauptaugenmerk der russischen Streitkräfte liegt derzeit auf Sjewjerodonezk. Die Ortschaft, mit seinen ehemals 100’000 Einwohnern, ist die letzte Stadt im Oblast Luhansk, die noch nicht unter russischer Kontrolle ist. Noch leisten die Ukrainer Widerstand, die Stadt könnte aber in den kommenden Tagen fallen. Die Russen haben Sjewjerodonezk umzingelt, nur noch eine einzige Brücke führt aus der Stadt hinaus.
Sky-News-Reporterin Alex Crawford berichtete in den vergangenen Tagen aus der hart umkämpften Stadt. Sie traf auf zahlreiche Bewohnerinnen und Bewohner, die unter Lebensgefahr in Bunkern und Kellern ausharren. Das Leid, die Zerstörung, die Verzweiflung, aber auch der Mut der Menschen sind unübersehbar.
Die Russen hätten aus ihren anfänglichen Fehlern gelernt, schreibt der renommierte Militär-Experte Mick Ryan auf Twitter. Sie würden nicht mehr an zahlreichen Fronten gleichzeitig angreifen, sondern sich auf einzelne Gebiete konzentrieren. Deshalb könnten sie im Donbas einige Erfolge verzeichnen. «Sie haben sich langsam und vorsichtig bewegt, ihren Vorteil bei der Artillerie gut genutzt und darauf geachtet, ihre Logistik nicht in dem Masse angreifbar zu machen, wie sie es im Norden getan haben», so Ryan.
Trotz der Erfolge im Donbas darf nicht vergessen werden, dass die Russen die Schlacht um Charkiw fürs Erste verloren haben. Die Ukrainer konnten die Russen zurückdrängen. Die zweitgrösste Stadt des Landes ist mittlerweile wieder so sicher, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Wochenende dorthin reisen konnte.
Auch im Süden kommen die Russen nicht voran. Die ukrainischen Streitkräfte haben bei der Stadt Cherson gar eine Gegenoffensive lanciert. Viel Gebiet konnten sie dabei nicht zurückgewinnen, wie das Institute for the study of war (ISW) schreibt. Allerdings könnte die Gegenoffensive die Russen dazu zwingen, Verstärkung in die Region Cherson zu entsenden, die dann an anderen Orten fehlen wird.
Zusammengefasst: Im Donbas kommen die Russen langsam voran. Rund um Charkiw und bei Cherson können sie aktuell kein Territorium hinzugewinnen und müssen teilweise sogar Gebietsverluste hinnehmen.
2. Das Getreide
Während in der Ukraine die Gefechte toben, hat Wladimir Putin mit Emmanuel Macron und Olaf Scholz telefoniert. Rund 80 Minuten sollen die drei Staatsoberhäupter am Samstag miteinander gesprochen haben. «Der Bundeskanzler und der französische Präsident drängten dabei auf einen sofortigen Waffenstillstand und einen Rückzug der russischen Truppen», sagte Steffen Hebestreit, der Pressesprecher der deutschen Regierung. «Sie riefen den russischen Präsidenten zu ernsthaften direkten Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten und einer diplomatischen Lösung des Konflikts auf.»
Bei den Gesprächen ging es auch um das Getreide, das in den ukrainischen Häfen blockiert ist. Vor dem Krieg führte die Ukraine monatlich bis zu sechs Millionen Tonnen Getreide und Ölsamen aus. Wegen des Krieges waren es im März dieses Jahres nur noch 200’000 Tonnen. Russland blockiert den wichtigen Hafen von Odessa und die Ukraine hat viele Zugänge zu Häfen vermint, damit die russischen Schiffe keine Landungsoperationen durchführen können.
Die Konsequenz: Der Preis für Getreide ist stark angestiegen. 400 Millionen Menschen seien deswegen von Nahrungsmittelknappheit bedroht, schätzt der Uno-Sicherheitsrat. Putin kündigte im Gespräch mit Scholz und Macron nun an, er sei bereit, «Möglichkeiten für einen Getreide-Export ohne Hemmnisse zu finden.» Der russische Präsident verlangte als Gegenleistung aber die Aufhebung westlicher Wirtschaftssanktionen.
3. Russen freuen sich
Wladimir Putin hat mit dem Getreide also ein starkes Druckmittel in der Hand. Die Angst vor einer grossflächigen Hungerkrise hält die Welt in Atem. Nicht zuletzt deswegen werden im Westen Stimmen lauter, die auf ein schnelles Ende des Krieges drängen und die Ukraine dazu auffordern, auf Gebiete zu verzichten. «Die Verhandlungen müssen in den nächsten zwei Monaten beginnen, bevor es zu Verwerfungen und Spannungen kommt, die nicht leicht zu überwinden sind», sagte Henry Kissinger vergangene Woche am WEF. Der ehemalige US-Aussenminister forderte eine Rückkehr zum «Status quo ante», als Russland die Krim formell und informell die beiden östlichsten Regionen der Ukraine, Luhansk und Donezk, kontrollierte.
Ähnlich klang es wenige Tage zuvor bei der New York Times. Die Ukraine müsse «schmerzhafte territoriale Entscheidungen» treffen, um Frieden zu erreichen, schrieb die Redaktionsleitung der Zeitung. Ein militärischer Sieg sei «kein realistisches Ziel».
Selenskyj wies mögliche Gebietsabtretungen an Russland jedoch vehement zurück. «Die Ukraine kämpft, bis sie ihr gesamtes Territorium zurück hat», sagte Selenskyj bei einer Videoschalte nach Davos.
In Russland wurden die Aussagen Kissingers mit Genugtuung aufgenommen. «Weder der Westen noch Kiew glaubt an den Sieg der Ukraine», freute man sich im Staatsfernsehen. Reporterin Julia Davis, welche die russischen Medien verfolgt, sagt, der Ton habe sich geändert. Die Russen würden sich bestärkt fühlen, da der Westen nun überlege, Gebiete abzutreten. Der Tenor laute jetzt: «Es gibt Risse in den westlichen Allianzen! Sie wollen verhandeln! Wir sind am Gewinnen! Lasst uns mehr von der Ukraine einnehmen.»
Zuversichtlich ist man auch im Kreml, berichtet das unabhängige russische Newsportal Meduza. «Am Ende werden wir sie zermalmen», sagte eine regierungsnahe Quelle. «Das Ganze wird im Herbst wahrscheinlich zu Ende sein.»
Dem Bericht zufolge glauben die Kreml-Beamten, dass der Westen seine massive militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine nicht aufrechterhalten wird. Eine weitere Quelle sagte dem Newsportal: «Früher oder später wird Europa müde werden, zu helfen. Es geht um Geld und Waffen, die sie selbst brauchen. Wenn der Herbst näher kommt, werden sie [mit Russland] über Gas und Öl verhandeln müssen, bevor die kalte Jahreszeit kommt.»