Die Kosten steigen über 83 Milliarden: Warum will sie niemand wirklich bremsen?
Thomas de Courten nannte die Kostenbremse-Initiative «gefährlich». Der SVP-Gesundheitspolitiker verlangte darum am Dienstag im Nationalrat im Namen der Gesundheitskommission, die Initiative der Mitte-Partei abzulehnen. Die Kostenbremse berücksichtige weder den medizinischen Fortschritt noch die Alterung der Bevölkerung. Steigen die Prämien deutlich stärker als die Löhne, müssten automatisch Massnahmen einsetzen – und die Ausgaben kürzen. Der Bundesrat warnt gleichermassen vor «Rationierung» und «Zweiklassenmedizin».
Ausser der Mitte-Partei will die Initiative niemand.
Und doch bastelte die Gesundheitskommission seit Januar an einem Gegenvorschlag. Denn die Nervosität steigt im Hinblick auf den September, wenn die nächste Prämienrunde ansteht. FDP-Nationalrat Philippe Nantermod warnte, die Kosten stiegen 2022 ausserordentlich, bis zu neun Prozent könnten darum auch die Prämien aufschlagen. 2023 rechnet die Branche mit einem ähnlichen Szenario. Dem Kostenwachstum wollte die Gesundheitskommission nicht tatenlos zusehen, sagte Nantermod.
Überraschende Kehrtwende: Die Zielvorgaben sind doch nicht tot
Und trotzdem fiel der Gegenvorschlag, den der Bundesrat entwickelt hatte und der ähnliche Ziele wie die Initiative verfolgt, bei Gesundheitspolitikern durch. Doch am Dienstag feierte die Idee im Nationalrat ein unerwartetes Revival: Mit 94:91 Stimmen entschied sich das Plenum für Kostenziele, die bei einer Überschreitung Korrekturen auslösen sollen. Zumindest müssen betroffene Ärzte, Kantone und Versicherer gemeinsam prüfen, ob Massnahmen zur Kostenreduktion nötig sind.
Die Ratsmehrheit setzte sich gegen SVP, FDP und GLP durch – auch weil vier SVPler und drei Grünliberale die Abstimmung verpasst hatten. Unklar bleibt dennoch, ob der Gegenvorschlag in dieser Fassung überlebt. Die Vorlage ist nicht fertig beraten, der Nationalrat muss am Mittwoch noch über einzelne Massnahmen und das Gesamtpaket beschliessen. Entscheiden werden GLP und Grüne: Bieten sie Hand für einen Kompromiss?
Obwohl die Kosten weit herum als Problem wahrgenommen werden, lehnte die SVP den Gegenvorschlag von Beginn weg ab. Auch die FDP war stets skeptisch, nutzte dann das Vehikel, um eigene Massnahmen einzubringen. Weil aber die Zielvorgaben wieder im Gesetz stehen, lehnt die FDP den Gegenvorschlag ebenfalls ab. Es gebe keinen Grund, der Mitte in diesem Fall aus der Patsche zu helfen, erklärte die Aargauer Nationalrätin Maja Riniker.
Paradies der Geldgierigen: Der Vorwurf an die Gegner
Tatsächlich sucht die Partei von Gerhard Pfister einen Kompromiss, um die Initiative gesichtswahrend zurückzuziehen. Doch dieser muss gewisse Bedingungen – wie eben Zielvorgaben – erfüllen. Dass sich die anderen Parteien damit schwer tun, liege am «Gesundheitskartell», sagte Pfister. Dieses lebe heute derart gut von den falschen Anreizen, dass diese eben nicht mehr falsch, sondern rentabel seien. «Das Gesundheitswesen in der Schweiz ist ein einzigartiges Perpetuum mobile der Selbstbedienung, ein Paradies für Geldgierige», sagte der Mitte-Präsident. Es wimmle auf dem Milliardenmarkt von Experten, Beratern, Komitees und Interessengruppen, die an ihrem einträglichen Businessmodell nichts ändern wollten. Pfister schliesst seinen Rundumschlag mit der Empfehlung: Nur der Druck über Zielvorgaben könne das Kartell aufbrechen. Dass dies eine Mehrheit im Parlament nicht wolle, zeige die enge Verbandelung mit den Lobbys.
Schwere Suche nach Verbündeten
Immerhin: Die SP hilft beim Gegenvorschlag mit, wenn auch nicht aus voller Überzeugung. Die Partei muss argumentativ aufrüsten, wenn sie ihre eigene Initiative zu den Prämienverbilligungen verteidigen will. Nach staatlicher Unterstützung rufen, ohne das Problem an der Wurzel packen zu wollen, wäre allzu einfach. Zudem erhält sie von der Mitte tatkräftige Unterstützung für eine grosszügige Ausgestaltung des Gegenvorschlags zur Prämien-Initiative.
Die Grünen wiederum halten wenig von der Kostenzielen: Leistungen müssten für alle verfügbar, bezahlbar und zugänglich sein. Überhaupt seien nicht die Kosten das Problem, sondern die Finanzierung.
Und schliesslich steckt auch die GLP im Dilemma. Die Partei lehnt die Kostenziele zwar ab, einen Gegenvorschlag hält sie aber für sinnvoll, um Reformen anzustossen.
Ob die Zielvorgaben wirklich der Weisheit letzter Schluss sind, um die Kosten einzusparen? Auch der Ständerat wird sich mit dieser Frage noch befassen müssen.