Ständeräte ächzen unter Aktenberg – Strompaket lässt trotz Sommarugas Druck auf sich warten
Anfang Februar schaltete Bundesrätin Simonetta Sommaruga einen Gang höher. Und ein paar Wochen später nochmals. Die unabhängige Elektrizitätskommission Elcom hatte düstere Szenarien für die Schweiz ausgemalt; es drohe eine Strommangellage in den Wintermonaten. Spätestens als Wladimir Putin schliesslich in der Ukraine einen Krieg vom Zaun brach und damit Europa in eine Versorgungsdebatte stürzte, ging die Energieministerin in einen Krisenmodus über. Nun gehe es darum, die Schweizer Energieversorgung rasch umzukrempeln: grüner, eigenständiger, sicherer.
Das Problem: Das Parlament kann mit Sommarugas Tempoverschärfung nicht Schritt halten. Aktuell brütet die ständerätliche Umwelt- und Energiekommission (Urek) über einem grossen Mantelerlass zum Thema Strom. Dieser soll die Eckpfeiler für die Energiewende festlegen: Förderung der Erneuerbaren, Ausbau der Wasserspeicher, Öffnen des Strommarkts. Es war erwartet worden, dass das Geschäft noch in der Sommersession beraten wird – doch daraus wurde nichts.
Die Kommission ächzt unter der aktuellen Arbeitslast: Eben hat sie einen Entwurf für ein neues Raumplanungsgesetz verabschiedet. Für die Beratung von Sommarugas Idee eines Rettungsschirms für Stromkonzerne hat es ebenfalls noch gereicht – allerdings mussten dafür bereits kurzfristig zwei ausserordentliche Sitzungen anberaumt werden. Der Mantelerlass Strom wird nun auf den Herbst vertagt, genauso wie ein neues Jagdgesetz zur Regulierung von Wölfen.
«Das Thema ist sehr komplex»
«Das Milizsystem gerät an den Anschlag», sagt ein Kommissionsmitglied, das sich der Dringlichkeit der Sache durchaus bewusst ist. Aber gerade in der kleinen Kammer seien die meisten in verschiedenen Kommissionen tätig. «Da ist es fast einfacher, eine gemeinsame politische Haltung zu finden, als einen Termin in der Agenda.»
Kommissionspräsidentin Elisabeth Baume-Schneider (SP/JU) hat Verständnis für diese Auffassung. «Wir sind sehr gefordert. Das Thema ist gleichzeitig sehr wichtig und sehr komplex. Wir müssen nicht nur schnell arbeiten, sondern auch seriös.» Durch steigende Energiepreise, eine drohende Winterstromlücke, die Beziehungen zu Europa und den Krieg in der Ukraine sei die Arbeit nicht einfacher geworden, bekräftigt Baume-Schneider. «Als Folge der zahlreichen Anfragen und Anträge der Kommissionsmitglieder ist die Dokumentation aus der Verwaltung sehr umfangreich, sodass es viel Zeit braucht, sich die richtige Übersicht zu verschaffen», sagt Baume-Schneider.
Vorlage ist seit einem Jahr bekannt
Fakt ist allerdings auch: Der Rettungsschirm kam wohl kurzfristig in die Kommission. Vom Mantelerlass wissen die Umweltpolitikerinnen und -politiker aber seit bald einem Jahr. Ob nicht vielmehr Verzögerungstaktiken die Entscheidfindung blockieren, lässt sich aus den Kommissionsmitgliedern nicht herauskitzeln. Die Urek hat sich ein Schweigegelübde auferlegt, das bislang gut hält.
Gesichert ist hingegen, dass es die Kommission sehr genau nimmt: In über hundert Anträgen hat die Urek Berichte von der Verwaltung bestellt. Und dass sie es auch nicht immer allzu eilig hat, legt die dreitägige Sondersession von Anfang Mai nahe: Einen Tag widmete die Kommission dem Rettungsschirm, einen dem Wolf – und den dritten nahmen sie sich frei.
Die Branche wartet derweil nervös auf die Beschlüsse aus dem Parlament. Am Dienstag hat der Verband der Schweizer Elektrizitätsunternehmen (VSE) eine Pressekonferenz veranstaltet und an dieser Stelle «mehr Mut» von Politikerinnen und Politikern gefordert – eine klare Aufforderung an die Adresse des Parlaments. VSE-Präsident und Chef von Alpiq Schweiz, Michael Wider, sagt zwar durchaus: «Ich beneide die Politik derzeit nicht. Wir reden schliesslich von systemischen Problemen in ganz Europa.» Gleichzeitig würde er sich wünschen, dass die aktuelle Dringlichkeit dazu führte, «dass sich die Politik aus dem normalen Rhythmus hinausbewegt».