«Das hat mir eine neue Welt eröffnet» Die Aargauerin Simone Holliger baut Skulpturen für die WHO
Die Skulptur ist unerwartet. Der französische Garten im Riehener Wenkenhof ist präzis gemäht, tänzelnde Statuetten umringen den Brunnen, in dessen Mitte dieses papierene Ungetüm hockt – einen «barocken Haufen», nennt es die Künstlerin selbst. Und dennoch fügt sich die Skulptur nahtlos in die Umgebung ein. Simone Holliger erklärt:
«Sie ist üppig, wie alles hier. Trotz ihrer Grösse und Präsenz hat sie das latente Potenzial eines Schrotthaufens.»
Für die zehn Tage, an denen die Skulptur hier steht, sind Gewitter angesagt. Das Material, die Struktur wird sich mit der Zeit wohl verändern. «Ob sie einknicken, ausbleichen, oder auseinanderfallen wird, bleibt abzuwarten. Womöglich wird sie am Ende der Ausstellung sogar überzeugender sein als in ihrem Ursprungszustand», so Holliger.
Manche Besucher sind irritiert, vermissen die übliche Brunnenskulptur, ausgerechnet eine Nachbildung des wenig friedlichen «Ganswürgers». «Der Provokation war ich mir gar nicht recht bewusst. Ich finde es gut, dass die Intervention polarisiert», sagt Holliger. Aber es gibt auch andere. Im Vorbeigehen murmelt ein Herr rasch: «Schön ist’s!» und an der Vernissage wünscht sich mancher Gast, dass die Skulptur bleibt.
Sie bringt Papier in Extremform
Seit Jahren lotet die Aargauerin aus, was mit Papier möglich ist. Sie faltet, knickt und klebt die Bögen hoch und höher, bis man das Papier kaum noch erahnen kann. Mal macht sie aus ihnen munter abstrakte Gebilde, mal meint man darin selbstbewusste Figuren zu erkennen. Sie tut dies in sauberem Handwerk und mit ungebrochener Forschungslust. Sie sagt:
«Bisher hat es sich immer gelohnt, Dinge zu machen, von denen ich zu Beginn dachte, dass sie viel zu anstrengend, viel zu mühsam seien.»
Das stimmt. Etliche Preise zeichnen Simone Holligers Können aus, inklusive der Jurypreis des Aargauer Kunsthauses und ein Schweizer Kunstpreis. Die 36-jährige Aargauerin zog für ihre Ausbildung quer durch die Schweiz, nach Luzern, nach Genf, wo sie den Master an der Haute école d’art et de design (HEAD) machte und nach Basel. Dort ist sie nun angekommen, baut in ihren beiden Ateliers an ihren Skulpturen und führt mit ihren zwölf Mitbewohnern ihrer WG einen Kunstraum.
Eine Alternative zur Kunst scheint es in ihrem Leben nicht zu geben. Muss es auch nicht, wenn sie immer neue Wendungen einschlägt, ihr Schaffen weiterentwickelt, im wörtlichen Sinn. Teile der Brunnenskulptur standen auch schon in der Jahresausstellung im Aargauer Kunsthaus. Die Arbeit sowie eine Serie von sieben kleinformatigen Skulpturen («Titube») sind für den Förderpreis entstanden, der ihr die Basler Alexander Clavel Stiftung verleiht.
Der Preis ist mit 35’000 Franken dotiert, die zu Teilen in die Ausstellung fliessen. «Die Summe ermöglicht ein grosszügiges Arbeiten», so Holliger. Das zeigt sich auch in den Ressourcen, für die Produktion wie für den Aufbau hatte sie Unterstützung. «Bis vor kurzem war ich es gewohnt, mehrheitlich alleine zu arbeiten. Aber es ist toll, andere Menschen in meine Projekte einzubeziehen. Mein Netzwerk und mein Team wachsen mehr und mehr.»
Endlich auch für die Ewigkeit bauen
Was hält sie nun schon so lange am Papier? «Es geht um das Ausloten von Möglichkeiten», sagt Simone Holliger, «Und ich mag die Einfachheit im Herstellungsprozess. Papier, Schere, Klebstoff – im Grunde braucht es nicht mehr.» Trotzdem wolle sie nicht auf ewig die «Papierkünstlerin» bleiben.
Daran arbeitet sie zurzeit. Mitte Juni stellt Simone Holliger im Kunstmuseum in La Chaux-de-Fonds aus. Das über vier Meter hohe Figurenpaar aus Styropor ist noch nicht fertig. Den letzten Schliff gibt ihnen die Künstlerin in der Woche vor der Eröffnung direkt in den Museumsräumen.
«Ich verstehe die Institution, in der ich jeweils arbeite, als temporäres Atelier. Ich reagiere oft direkt auf den Ort, an dem ich ausstelle.»
Arbeiten im öffentlichen Raum oder «Kunst am Bau»-Projekte zeigen dies am deutlichsten. Gerade erst hat sie eine Installation für die WHO in Genf realisiert – nicht aus Papier, sondern aus Metall. Opulent geschwungene Eisenrohre schlängeln sich wie in den Raum geflossene Zeichnungen der Wand entlang. Das Projekt habe ihr eine neue Welt eröffnet, erzählt Holliger. «Plötzlich stand ich vor dieser Arbeit, die bleiben wird, in der es nicht mehr um Vergänglichkeit oder Wiederverwertung geht.»