Geht den Gastfamilien der Schnauf aus? Die Kantone befürchten es – und suchen nach Lösungen
Tausende haben in der Schweiz Geflüchtete aus der Ukraine bei sich aufgenommen. Doch die Behörden befürchten, dass auf den Sommer hin viele Geflüchtete ihre Gastfamilie wieder verlassen müssen und eine neue Unterkunft brauchen. Denn die Schweizerische Flüchtlingshilfe verlangt ein Engagement von mindestens drei Monaten – und diese Dauer neige sich in vielen Fällen langsam dem Ende zu, sagte Gaby Szöllösy, Generalsekretärin Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren, vor den Medien. Einzelne Kantone meldeten bereits, dass sie diesbezüglich einen gewissen Trend spürten.
Bewahrheitet sich die Befürchtung, wären Kantone und Gemeinden doppelt gefordert: Sie müssten nicht nur für die neu ankommenden Schutzsuchenden eine Unterkunft finden, sondern auch für jene, die nicht mehr in ihren Gastfamilien bleiben können. Der Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbands, Christoph Niederberger, sagt: «Wir laufen langsam in eine mögliche Stresssituation.»
Noch viele freie Plätze bei Gastfamilien
Kantone und Gemeinden haben in ihren Unterkünften laut Szöllösy derzeit über 9000 freie Betten. Doch es dürfte noch mehr brauchen. Bisher haben über 56’000 Personen den Schutzstatus S beantragt, bis Ende Oktober dürften es laut Staatssekretariat für Migration 80’000 bis 120’000 sein.
Eigentlich würden viele Private eine Unterkunft anbieten – für über 50’000 Personen, wie die «SonntagsZeitung» jüngst berichtete. Doch diese werden nicht genutzt. Behördenvertreter betonen zwar stets, sie schätzten das Engagement der Privaten sehr. Gleichzeitig liessen sie durchblicken, dass sie an der Längerfristigkeit dieser Lösung zweifeln. Hinzu kommt ein praktisches Problem: Laut David Keller vom Staatssekretariat für Migration bieten viele Private Platz für ein oder zwei Personen – zu wenig für eine Familie.
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe, welche die Unterbringung bei Gastfamilien koordiniert, findet es «bedauerlich, dass einige Kantone die Angebote der Bevölkerung nicht nutzen wollen.» Sprecherin Eliane Engeler hält fest: Grundsätzlich gebe es Kantone, wo die Privatunterbringung gut funktioniere, «denn diese Kantone investieren in die Betreuung der Gastfamilien, sodass sie auch bereit sind, länger mitzuhelfen.» Andere Kantone böten weniger Unterstützung oder bevorzugten Kollektivunterkünfte.
Berner Containerdorf in der Kritik
Um genügend Platz zu schaffen, setzen manche Kantone und Gemeinden inzwischen auch auf Wohncontainer, beispielsweise Zug oder Basel-Stadt. Weitere könnten folgen: Die Stadt Zürich zieht die Option eines Containerdorfs in Betracht, auch der Kanton Luzern prüft die Möglichkeit, Containeranlagen zu errichten.
Allerdings steht just das prominenteste Projekt in der Kritik. In Bern wird derzeit ein Containerdorf für bis zu 1000 Schutzsuchende gebaut, ab Anfang Juli soll es bezugsbereit sein. Ueli Salzmann, Architekt und Experte für Notunterkünfte, sagte den Tamedia-Zeitungen, das Containerdorf halte humanitäre Mindeststandards nicht ein – mit vier Küchen für 200 Menschen, zu engen Gängen, einer falschen Raumaufteilung und viel zu wenig Wohnfläche.
Der Kanton Bern weist die Kritik zurück. Die Aussage, das Containerdorf halte humanitäre Mindeststandards nicht ein, «ist so nicht richtig», schreibt die zuständige Behörde. Sie verweist darauf, dass eine temporäre Unterkunft gebaut werde, «keine festen Wohnungen, die über längere Zeit bewohnt werden». Zudem stünden insgesamt 16 komplett ausgestattete Küchenarbeitsplätze pro maximal 200 Personen zur Verfügung.
Andere Behörden orientieren sich indes nicht am Berner Projekt. Basel etwa bestellte unter anderem Wohnmodule für maximal 450 Personen, diese sollen aber nicht alle an einem Standort aufgestellt werden. Der Aargau wiederum führt Containersiedlung als letzte Option in seiner Eventualplanung auf – auch, weil sie vergleichsweise aufwendig seien.
«Nur im Ausnahmefall»
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe äussert sich nicht konkret zum Berner Projekt. Allgemein schreibt die Sprecherin, auch ein Containerdorf könne attraktiv gestaltet werden. Aus Sicht der Flüchtlingshilfe sollte die Unterbringung in provisorischen Unterkünften aber grundsätzlich «nur im Ausnahmefall und nur für kurze Zeit in Erwägung gezogen werden». Und selbst dann gelte es, die Mindeststandards für die Unterbringung schutzsuchender Personen zu wahren.
Auch der Direktor des Gemeindeverbands sieht Containerdörfer als eine der letzten Optionen. «Zuerst sollten alle bestehenden Möglichkeiten geprüft werden, bevor man Neubauten ins Auge fasst», sagt Niederberger. Die Ausgangslage sei aber regional sehr unterschiedlich. Und angesichts der vielen Schutzsuchenden dürften keine Optionen ausgeschlossen werden.