Der Einsatz für Frauenanliegen flacht wieder ab – der Verein Frauen*Streik Aargau löst sich auf
Wer in den vergangenen Tagen auf der Website www.14juni.ch nach Veranstaltungen zum Frauenstreiktag suchte, fand auf der interaktiven Karte 31 violette Stecknadeln. In Zürich, Bern, Lausanne, Chur oder Winterthur gab es am Dienstag diverse Anlässe, das Aargauer Gebiet hingegen präsentierte sich als Brache: Die SP-Frauen Aargau organisierten in Baden ein Streik-Picknick, ansonsten war nichts geplant.
Im Jahr 2019, als nach 28 Jahren zum zweiten Mal ein nationaler Frauenstreiktag stattfand, hatte das noch anders ausgesehen: Das Komitee Frauen*Streik Aargau sprach damals von rund 7000 Teilnehmenden, die im Lauf des Tages an elf Standorten an Aktionen teilgenommen hatten.
Weil sie das regionale Kollektiv für zukünftige Aktionen erhalten wollte, gründete eine fünfköpfige Frauengruppe im November 2019 den Verein Frauen*Streik Aargau. Für das erste Streiktag-Jubiläum am 14. Juni 2020 organisierte sie erneut einen Anlass, der jedoch ein paar Schuhnummern kleiner ausfiel.
Das lag auch an äusseren Umständen – pandemiebedingt bewilligte die Polizei dem Verein eine Platzkundgebung für maximal 50 Personen – aber nicht nur: Gegenüber der AZ sagte Antonia Iten, Präsidentin von Frauen*Streik Aargau, damals: «Nach dem Frauenstreik 2019 ist leider viel Schwung verloren gegangen.»
Im Jahr darauf, am 14. Juni 2021, war Frauen*Streik Aargau in Aarau mit einer Standaktion präsent: Symbolisch bot sie eine «feministische Auffrisch-Schluck-Impfung» an: Schoggiherzen in Shot-Becherchen – als Ermutigung, an Gleichstellungsthemen weiter dranzubleiben.
Zudem konnten Passantinnen und Passanten damals ihre Gleichstellungsforderungen an die Politik schriftlich formulieren. Im Herbst 2021 wurden die gesammelten Beiträge den Teilnehmerinnen der Frauensession in Bern übergeben.
«Als Organisationsform nicht mehr zeitgemäss»
Und in diesem Jahr? Auf der Website des Vereins präsentiert sich unter der Rubrik «Ausblick» lediglich die Zeichnung. Anlässe oder eine Ansprechperson sucht man vergebens, auch der Facebook-Account wurde letztmals im November 2021 mit Informationen gefüttert. Was ist los?
Nicht mehr viel, wie Amanda Sager-Lenherr, Präsidentin des Vereins frauenaargau und Vorstandsmitglied von Frauen*Streik Aargau auf Anfrage bestätigt:
«Der Vorstand musste erkennen, dass die Organisationsform als Verein für die Erfüllung der Ziele nicht geeignet und nicht mehr zeitgemäss ist. Deshalb haben wir vor einigen Tagen entschieden, Frauen*Streik Aargau per Ende August 2022 aufzulösen.»
Bei seiner Gründung im November 2019 hatte der Verein aus fünf Frauen bestanden. Vier von ihnen waren zwischen 50 und 70 Jahre alt, wie Sager-Lenherr sagt. Erhöht hat sich die Zahl in den Folgemonaten kaum.
Zum einen sei die Mitgliedersuche unter Pandemie-Umständen schwierig gewesen, zugleich habe die Erfahrung gezeigt, was man bereits geahnt hatte: Dass viele – gerade jüngere – Menschen sich heutzutage lieber befristet und projektbezogen engagierten, als in einem Verein verbindlich Mitglied zu werden.
Keine Ressourcen, um eine Standaktion zu planen
So blieb die Last auf wenige Schultern verteilt. Als sich abzeichnete, dass Zeit und Kraft nicht ausreichen würden, um am 14. Juni 2022 eine Aktion zu planen, habe man sich eingestehen müssen, dass es keinen Sinn mehr mache, die Vereinsstrukturen aufrechtzuerhalten.
Die Frauenstreik-Anlässe neu unter der Flagge des Vereins frauenaargau segeln zu lassen, sei zwar diskutiert, aber wieder verworfen worden. «Es ist schade, ein solches Projekt ausgerechnet ein paar Tage vor dem Frauenstreik-Tag beerdigen zu müssen», bedauert Sager-Lenherr.
Vielleicht brauche es eine Neuorientierung, nicht bei den Zielen des Vereins, aber bei der Form des Engagements. Der Vorstand gehe davon aus, dass sich aus anderen Kreisen erneut genügend «Frauenpower» formieren werde, wenn schweizweit wieder ein grosser Frauenstreik geplant sei.
Auch mit dem Kompetenzzentrum für Gleichstellung harzt es
Bereits vor dem nationalen Frauenstreiktag war neuer Schwung in Bestrebungen gekommen, Gleichstellungsanliegen im Kanton Aargau wieder zu institutionalisieren. Anlässlich eines «runden Tischs» – eines Netzwerk-Treffens, das der Verein frauenaargau zweimal jährlich organisiert – wurde im November 2018 eine überparteiliche Arbeitsgruppe gegründet, die sich mit dem Aufbau eines erneuten Kompetenzzentrums für Gleichstellung im Aargau beschäftigt.
Dies, nachdem Regierung und Parlament der kantonalen Fachstelle für Gleichstellung im November 2017 die Beiträge gestrichen hatten. In dieser Arbeitsgruppe wirken seither unter anderem Vertreterinnen von Grünen, SP, GLP, Mitte-Partei, EVP und FDP mit.
Zuletzt sei das Projekt jedoch «ins Stocken geraten», sagt Amanda Sager-Lenherr. Einerseits wegen der Pandemie, zudem sei es bei frauenaargau in jüngerer Vergangenheit zu zwei Präsidiumswechseln gekommen. Zwar sei es sehr zu begrüssen, dass die Arbeitsgruppe politisch breit abgestützt sei, dies führe jedoch auch zu Meinungsverschiedenheiten, was Stossrichtung und Vorgehen betreffe. «Einen Konsens zu finden, braucht Zeit.» Ein Konzept liege vor, sagte sie, spruchreif sei es allerdings in absehbarer Zeit noch nicht.
Auch die SP-Frauen Aargau haben sich damals stark gegen die Abschaffung der kantonalen Fachstelle für Gleichstellung eingesetzt. Am runden Tisch nimmt nun jeweils Grossratspräsidentin Elisabeth Burgener teil. Sie informiere sporadisch über den Status quo, so Co-Präsidentin Elena Flach. Darüber hinaus hätten jedoch zuletzt die personellen Ressourcen gefehlt, um das Thema enger zu begleiten, und in näherer Zukunft rückten nun zunächst einmal die National- und Ständeratswahlen vom Herbst 2023 in den Fokus, so Flach. Klar sei jedoch, dass Gleichstellung weiterhin ein Hauptthema auf der politischen Agenda der SP-Frauen Aargau bleibe.
Am nationalen Frauenstreiktag hat Arbeit-Aargau-Vizepräsidentin Silvia Dell’Aquila im Grossen Rat im Namen der Fraktion der Grünen und der SP eine Motion zur Verschärfung der Lohngleichheitsanalysen eingereicht. Darin wird der Regierungsrat aufgefordert, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um die Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern wirksamer zu bekämpfen. Dies insbesondere, indem die kantonalen Vorgaben zu Lohngleichheitsanalysen verschärft werden.