Dieter Wedel war ein Machtmensch ohne Grenzen – nun ist der umstrittene Quotenkönig des deutschen Fernsehens tot
Ein Genie ist tot! Bis vor fünf Jahren hätten die Nachrufe auf den deutschen Regisseur so getitelt. Denn als Genie galt er lange, als Genie liess er sich feiern, und als Genie inszenierte er sich selbst: Dieter Wedel, der Frankfurter Regisseur, Drehbuchautor und promovierte Theaterwissenschaftler, der so gerne auf dicke Hose machte.
Mit stets exorbitanten Budgets realisierte er einige der erfolgreichsten deutschen Prestigefilme der 80er- und 90er- Jahre. Bis zu zehn Millionen Zuschauer schalteten sich zum Mehrteiler «Der grosse Bellheim» zu, mindestens ebenso viele waren dabei beim «König von St.Pauli». Ähnlich erfolgreich, der «Schattenmann» mit dem Schweizer Stefan Kurt, einem Stammschauspieler des Regisseurs.
Ein Quotengott der Fernsehsender
Wedels Spezialität war die Darstellung männlicher Protagonisten aus der Unter- oder Halbwelt, die mit ihren hausgemachten Methoden das Recht für sich nutzen und die Welt als ihren Spielplatz verstehen. Man durfte das durchaus biografisch lesen. Dazu passt das Zitat, mit dem er einmal die Gestaltungsfreiheit seiner Arbeit umschrieb: «Keiner quatscht mir rein, wenn ich meine elektrische Eisenbahn aufbaue.» Herrschaften der Generation Hans Korte, Will Quadflieg, Heinz Schubert und Mario Adorf, die Senioren-Gang in «Der grosse Bellheim», waren von Regie-Berserkern des letzten Jahrhunderts ähnliche Arbeitshaltung fraglos gewohnt.
Auf dem Höhepunkt seines Einflusses und Machtnetzes hatte Dieter Wedel 2015 die Intendanz der angesehenen Hersfelder Festspiele inne. Am Freilicht-Ereignis rollte er Theater- und Filmstars den roten Teppich aus, um sie zu gewinnen, drohte den Salzburger Festspielen ernsthaft Konkurrenz an und beförderte das Spektakel in neue international wahrgenommene Dimensionen. Wedel rief, und man entsprach seinen Wünschen. In Bad Hersfeld hielt man den Macher für ein eigenes Universum, das nach eigenen Gesetzen funktionieren darf.
Denn schon damals äusserten seine Mitarbeitenden: Wedel war herablassend und anzüglich gegenüber Frauen und erniedrigend gegenüber Männern. Das Führungsprinzip entsprach der Idee des Künstlergenies, das im Schulterschluss mit den Mächtigen (Produzenten, Politikern) einen Mantel des Stillschweigens über seine Arbeitsbedingungen breitet. Schweigen schien der Preis für die Karriere, die seine Nähe zu ihm versprach.
Das Günstlingssystem hält sich an Wedels Regel
Mann liess ihn gewähren und gab sich loyal. Selbst als Plagiatsvorwürfe an seine Stücke immer lauter wurden. Sein Haussender ZDF deckte den Quotengott so lange es ging, denn man profitierte; der Bürgermeister von Bad Hersfeld stand bis zu Wedels erzwungenem Rücktritt 2018 hinter seinem Glücksbringer, denn er profitierte: «Ich habe keinen Anlass, an der Glaubwürdigkeit von Dieter Wedel zu zweifeln. Er geniesst unser vollstes Vertrauen.» Voller als voll, also vollst war damals möglicherweise auch die Liste der Opfer seiner Arbeitsmethoden. Mit dem Weinstein-Skandal 2017 in den USA kam die Zeitenwende und das Ende für einen wie ihn.
Ein deutscher Harvey Weinstein?
Die Wochenzeitung «Die Zeit» liess 2018 mehrere Schauspielerinnen zu Wort kommen, die Wedel im Rahmen der #MeToo-Debatte sexuelle Übergriffe vorwarfen. In zwei Fällen habe man sie zum Vorsprechen für eine Fernsehrolle in sein privates Hotelzimmer gebeten. Wedel empfing im Bademantel (den trugen regelmässig viele seiner Filmfiguren und etliche auf der Theaterbühne), sodann habe er sie zum Sex gezwungen.
Eine der Frauen konnte offenbar entkommen, die andere, die ehemalige Schauspielerin Jany Tempel, nicht. Die Vorwürfe der sexuellen Nötigung bezogen sich auf die Zeit zwischen Wedels Grosserfolgen mit «Der grosse Bellheim» und «König von St.Pauli». Wedel drohte der «Zeit» mit einer Millionenklage und stritt die Vorwürfe ab. Doch die #MeToo-Debatte kochte hoch, und er hatte in Deutschland sein Stigma weg. Wedel verliess das Land und zog nach Mallorca.
Trotz eines anhängigen Strafverfahrens lebte er dort fünf Jahre unbehelligt. Denn ob dem mutmasslichen Vergewaltiger der Prozess gemacht werden sollte, konnte das Gericht in München bis diesen Mittwoch nicht entscheiden. Jany Tempel, die seitdem dafür kämpfte, trat Ende Juni einen Hungerstreik an. Sie liess sich dazu in ihrer neuen Heimat Thailand in einen Katzenkäfig sperren. Zu sehen live auf Youtube.
Diesen Mittwoch wollte das Gericht über die Anklage gegen Wedel entscheiden. Just an dem Tag wurde nun sein Tod bekannt. Dieter Wedel war bereits am 13. Juli im Hamburger Klinikum Eppendorf verstorben. Über die Todesursache des 82-Jährigen sind Spekulationen im Umlauf, Fakten sind nicht erhältlich. Das Verfahren ist somit eingestellt. In der Causa bleibt es dabei, es steht Aussage gegen Aussage.