Umstrittener Arzt stellt unrechtmässig Covid-Zertifikate aus: Nun hat er einen Strafbefehl im Haus – auch wegen weiterer Verfehlungen
50 Covid-19-Impfzertifikate, 389 Genesenenzertifikate: Eine stattliche Anzahl Personen, denen der Abtwiler Arzt damit Reisen ins Ausland, den Besuch von Restaurants oder den Zutritt zu Tanzlokalen ermöglicht hat – unrechtmässig. Denn: Er war nicht befugt, Covid-Zertifikate auszustellen. Er tat es dennoch mehr als ein Jahr lang, nämlich von Januar 2021 bis Februar 2022. Dann kamen ihm die Behörden auf die Schliche. Das geht aus einem aktuellen Strafbefehl der St.Galler Staatsanwaltschaft hervor. Er habe die Zertifikate ausgestellt, «ohne dazu autorisiert worden zu sein» – Zertifikate, die nur vom Kanton hätten ausgestellt werden dürfen, wie es im Strafbefehl heisst. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm denn auch mehrfache Urkundenfälschung vor.
Doch, auch das macht der Strafbefehl deutlich: Es ist nicht die einzige Verfehlung des Abtwiler Arztes Manfred Doepp. Und: Er war bereits früher wegen seiner Behandlungsmethoden in die Schlagzeilen geraten.
Lange Mängelliste nach Besuch in der Praxis
Der 76-Jährige hat sich auch des unerlaubten Umgangs mit Lebensmitteln, der Widerhandlung gegen die Vorschriften über den Täuschungsschutz und der Übertretung des Lebensmittelgesetzes schuldig gemacht. Lebensmittel? Arztpraxis? Was überraschend klingt, erklärt sich so: Der Abtwiler Arzt hat Nahrungsergänzungsmittel abgegeben und auf seiner Homepage angeboten, ohne dabei die Bestimmungen des Lebensmittelgesetzes einzuhalten. Er tat dies auch dann noch, nachdem ihn das Gesundheitsdepartement «nach einem Vorfall im Mai 2019» explizit darauf hingewiesen hatte.
Zu dem «Vorfall» macht die Staatsanwaltschaft keine weiteren Ausführungen. Wohl aber dazu, was das Gesundheitsdepartement – konkret das Amt für Verbraucherschutz und Veterinärwesen – bei einem Besuch in Praxis in Abtwil im Dezember 2020 angetroffen hat. Die festgestellten Mängel ziehen sich im Strafbefehl über mehrere Seiten hin.
So wurden in der Praxis diverse Nahrungsergänzungsmittel festgestellt, die an Patientinnen und Patienten abgegeben werden, die gesetzlichen Anforderungen aber nicht erfüllen – wegen zu hoch dosierter Zusätze an Vitaminen, Mineralstoffen oder sonstigen Stoffen und wegen mangelnder Deklaration. Bei der stichprobenartigen Überprüfung der Produkte zeigte sich: Einzelne Inhaltsstoffe überschritten die maximal zugelassene Tagesdosis deutlich – «sie sind somit in der Schweiz nicht verkehrsfähig», so die Staatsanwaltschaft. Und: Die Produkte enthielten teilweise «verbotene Heilsanpreisungen». So wurde beispielsweise ein Produkt mit «May reduce the risk of certain forms of cancer» (kann das Risiko für gewisse Krebsarten reduzieren) angepriesen.
Aufforderungen nicht nachgekommen
Im Inspektionsbericht wurde dem beschuldigten Arzt klargemacht: Er darf die Nahrungsergänzungsmittel mit den zu hohen Dosierungen einzelner Inhaltsstoffe nicht mehr abgeben oder in Verkehr bringen – und zwar per sofort. Trotzdem überliess er, so ist es dem Strafbefehl zu entnehmen, wenige Monate später die Produkte kostenlos dem Verein «Komm in deine Kraft Institut – Forschungsverein zur Förderung und Bildung der ganzheitlichen Gesundheit für eine bessere Lebensqualität» mit Sitz in Österreich. Präsidentin des Vereins ist seine Ehefrau.
Zudem wurde er aufgefordert, importierte Nahrungsergänzungsmittel ordnungsgemäss in einer Schweizer Amtssprache zu kennzeichnen. In der Praxis fanden sich direkt aus den USA importierte Produkte, die nur in englischer Sprache gekennzeichnet waren. Dazu heisst es im Strafbefehl: «Da sich auf den Verpackungen Warnhinweise befinden, müssen die Konsumenten unmissverständlich in einer Amtssprache informiert werden.»
Schliesslich war dem Arzt auferlegt worden, ein Selbstkontrollkonzept zu erarbeiten und umzusetzen, dazu besteht in der Schweiz eine Pflicht. Er hat bis dato kein solches Konzept eingereicht.
Für all diese Verfehlungen wird der Abtwiler Arzt mit einer Busse von 10’000 Franken bestraft und mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 260 Franken gebüsst, bedingt aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren. Die Strafe ist noch nicht rechtskräftig. Ob der beschuldigte Arzt Einsprache erhebt, ist noch offen. Die Frist dafür läuft noch. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Angehörige erheben schwere Vorwürfe
Es ist noch nicht lange her, da war der beschuldigte Abtwiler Arzt Manfred Doepp bereits in die Schlagzeilen geraten. Er soll einen Krebspatienten falsch behandelt haben. Diese Vorwürfe erhoben Angehörige im Februar 2021 in der Sendung «Kassensturz» des Schweizer Fernsehens. Der Nuklearmediziner und Experte für Energiemedizin hatte den Mann mit einem Bioresonanzgerät behandelt. Ein halbes Jahr nach Doepps Behandlungsbeginn diagnostizierten Onkologen bei dem Mann Lungenkrebs mit Metastasen im Hirn. Ein paar Monate später starb der Patient.
Der Abtwiler Arzt wehrte sich gegen die Anschuldigungen. Der Vorwurf, er habe den Krebspatienten falsch behandelt, sei «unkorrekt», sagte er damals gegenüber dieser Zeitung. «Ich bin promovierter Arzt und kein Bioresonanz-Fetischist.» Der Mann habe darauf bestanden, in kein Spital zu gehen.
Kurz nach der Fernsehsendung meldete sich eine St.Galler Mutter. «Auch meine Tochter wurde von diesem Arzt behandelt. Auch sie hatte Krebs. Und auch sie hätte eine Chance zum Weiterleben gehabt.» Sie gehe mit den Angehörigen in der Sendung einig. «Es ist kein Einzelfall», so die Mutter am Telefon mit dieser Zeitung. «Es hat sich bei meiner Tochter auch so abgespielt.» Ihre Tochter kehre nicht mehr ins Leben zurück, aber andere sollten davor gewarnt werden, sich an diesen Arzt zu wenden.
Verfahren des Kantons läuft noch
Der Abtwiler Arzt betonte mehrmals, beide Patienten hätten jede schulmedizinische Behandlung abgelehnt. «Ich kann die Patienten nicht entmündigen. Ich kann sie nicht zu etwas zwingen, das sie nicht wollen.» Seine Patienten erhielten immer sein «Krebskonzept», dazu gehörten Therapien aus der Naturheilkunde, aber auch die Chemotherapie. Die Fernsehsendung und die Anschuldigungen seien eine «tendenziöse Verunglimpfung».
Das St.Galler Gesundheitsdepartement machte nach der «Kassensturz»-Sendung kurzen Prozess und eröffnete ein aufsichtsrechtliches Verfahren gegen den umstrittenen Arzt. Auf Anfrage heisst es am Donnerstag beim Kanton: «Das Verfahren ist noch am Laufen. Es liegt noch kein Entscheid vor.» Auch die Schweizerische Stiftung für Komplementärmedizin reagierte auf die Fernsehsendung und löste Doepps Anerkennung als Therapeut sofort auf. Aus dem Beitrag ginge hervor, dass er gegen mehrere ihrer ethischen Richtlinien verstossen habe.
Gab es schon früher Beanstandungen?
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes gibt das Gesundheitsdepartement keine Auskünfte, ob es schon früher Beanstandungen oder Beschwerden gegen den Abtwiler Arzt und seine Behandlungsmethoden gegeben hat.
Doepp hat sowohl beim Gesundheitsdepartement wie auch bei der Stiftung für Komplementärmedizin gegen deren Schritte interveniert. Die beiden Schreiben liegen der Redaktion vor. Jenes an den Kanton endet mit der Bitte, das laufende Verfahren gegen ihn einzustellen.