Wie sehr schränkt Long Covid ein? Schweizer Forschende haben die relevante Frage gestellt
Nach dutzenden von Studien zu Langzeit-Beschwerden nach einer Corona-Infektion ist man zum Konsens gelangt, dass rund 20 Prozent nach drei Monaten noch Symptome haben. Allerdings nur von jenen, die überhaupt wussten, dass sie infiziert waren. Eine Studie im Juni zeigte, dass viel mehr als entdeckt, mit Sars-Cov-2 in Kontakt waren und daher Antikörper im Blut haben.
Über alle entdeckten und unentdeckten Corona-Infektionen gesehen liegt demgemäss das Risiko, drei Monate später noch Symptome zu haben, niedriger. In dieser Studie bei vier bis sechs Prozent. Allerdings wurden nur die Symptome Müdigkeit, Atemnot und Konzentrationsschwierigkeit erfragt.
Doch die Frage nach Symptomen bleibt problematisch. Die Befragten zählen zu Long-Covid-Fällen jeweils auch, wenn sie nur ein Symptom nennen, das vor der Infektion noch nicht da war. Die Gefahr bei diesen Umfragen ist, dass das Symptom eventuell auch ohne Corona in diesem Zeitraum aufgetaucht sein könnte. Denn es geht um Symptome wie Müdigkeit, Husten, Atemnot, Depressionen, Haarausfall, Konzentrations- und Schlafprobleme, die generell in der Bevölkerung sehr verbreitet sind.
Die entscheidenden Frage ist: Fühlen Sie sich wieder gesund?
Forschende des Institutes für Epidemiologie, Biostatisik und Prävention der Universität Zürich haben im Rahmen des Studienprogramms Corona Immunitas deshalb eine andere Frage gestellt. Nämlich: Fühlen Sie sich wieder gesund? Und wie geht es Ihnen gesundhetlich auf einer Skala von 0 bis 100?
«Wir finden, das Wichtigste ist, wie die Symptome das Leben der Betroffenen beeinflussen», sagt Studienautorin Tala Ballouz. «Denn bei der Verbreitung der Long-Covid-Symptome muss man beachten, dass jeweils auch rund die Hälfte der Nicht-Infizierten in einer Bevölkerung über solche Symptome berichtet. Das hat unser Abgleich mit einer Kontrollgruppe in der Corona-Immunitas-Studie gezeigt.»
Die Mehrheit genest innert drei Monaten
Die Ergebnisse dieser noch nicht geprüften Studie zur Genesung zeigen nun folgendes Bild: 49 Prozent genasen innert weniger als einem Monat nach einer Sars-Cov-2-Infektion, nach drei Monaten war es eine Mehrheit von total 67 Prozent. Das ist die gute Nachricht.
Doch nach einem halben Jahr berichteten immer noch 25 Prozent der ehemals Infizierten, dass sie sich noch nicht gesund fühlten. Viele, nämlich 17 Prozent, schätzen das Leiden als «mild» ein, vier Prozent der Betroffenen als mittel und drei Prozent als schwer. (Von einem Prozent war diese genauere Beurteilung nicht bekannt.) Das Leiden bezog sich auf Krankheitssymptome, aber auch Probleme während Aktivitäten, bei der Mobilität, der Selbstversorgung oder bezüglich psychischer Gesundheit.
Bei manchen verbessert sich auch innerhalb eines ganzen Jahres nichts
Nach einem Jahr schliesslich fühlten sich noch 16 Prozent nicht komplett genesen. 11 Prozent bezeichneten die Krankheitslast als mild, 3 Prozent als mittel und 1 Prozent immer noch als schwer. Jeder Dritte, der nach sechs Monaten nicht genesen war, fühlte sich nun nicht besser. Bei jeder Zehnten wurden die Symptome sogar schlimmer.
Die häufigsten Symptome der noch nicht Genesenen waren Müdigkeit, Erschöpfung nach Anstrengung, Geschmacks- oder Geruchsveränderungen, Atemnot und Konzentrations-/ Gedächtnisschwierigkeiten.
«Eine relevanten Zahl von Personen hat Gesundheitsprobleme»
Bei einem Teil der ehemals Erkrankten konnten die Forschenden sogar nach eineinhalb Jahren nachfragen. Dieses Ergebnis zeigt die Chance auf komplette Erholung für jene 25 Prozent, die sich nach einem halben Jahr noch nicht gesund fühlen: Nach weiteren 12 Monaten berichteten 42 Prozent von ihnen, sie seien nun genesen.
Die Autoren schreiben dazu: «Unsere Ergebnisse zeigen, dass eine relevante Zahl von Personen von Post-Covid-Problemen betroffen ist und nach einem Jahr langwierige Gesundheitsprobleme hat. Doch die Erholungsraten und die Abnahme der Krankheitsschwere über die Zeit, geben den Betroffenen auch Hoffnung.»
Eine neue internationale Studie mit Kindern aus acht Ländern, die letzte Woche erschien, hat das Risiko von Long-Covid-Symptomen bei Kindern im Alter von 0 bis 10 Jahren untersucht. Von 1884 Kindern, die sich mit Corona infiziert hatten berichteten nach drei Monaten 5,8 Prozent der Kinder oder deren Eltern Post-Covid-Symptome. Von jenen, die wegen Corona im Spital waren, waren es 9,8 Prozent, von den übrigen 4,6 Prozent. Das häufigste Symptom war Erschöpfung. (kus)
Wegen Omikron und Impfung sinkt das Risiko
Die Studienteilnehmenden infizierten sich alle, bevor die Corona-Varianten Delta und Omikron auftauchten – und auch bevor jemand geimpft war. Andere Studien zeigen, dass die Impfung nicht nur vor den Organschäden wegen schwerer Verläufe sondern zumindest auch zu einem kleinen Teil vor Long Covid schützt. Bezüglich Omikron ist bei Geimpften das Risiko für Long Covid halbiert, gemäss einer neuen Studie aus «The Lancet». Sie ergab, dass die Long-Covid-Rate bei Geimpften und mit Delta infizierten bei 10,8 lag, bei Omikron bei 4,6 Prozent.
Auch diese geprüfte Lancet-Studie ist nur beschränkt mit anderen vergleichbar. Tala Ballouz, die die Zürcher Studie mit koordiniert, sagt deshalb:
«Es ist sehr wichtig, dass die Erhebung von Long Covid besser standardisiert wird. Klar ist aber: Es sind viele betroffen.»
Immerhin fragte auch die Covid-Langzeitüberwachung das Englische Statistische Amt (ONS) nach der Beeinträchtigung durch Long Covid. Eine Erhebung im Mai ergab dass rund zwei Prozent der Bevölkerung in Grossbrittanien ihre Corona-Symptome als so einschränkend empfinden, dass sie in ihren täglichen Aktivitäten behindert sind. Ein Viertel davon bezeichnen die Einschränkung als «stark».
Sehr viele Personen sind nicht mehr arbeitsfähig
Vier Prozent der Bevölkerung – um bei der Schweizer Studie zu bleiben –, die durch Covid-19 langfristig mittel bis stark eingeschränkt sind, ist nicht wenig. Für sie ist das Virus dramatisch lebensverändernd – noch ohne Hoffnung auf eine heilende Therapie. Hochgerechnet auf die Schweizer Bevölkerung wären das über 300000 Personen. Nun hatten sich nicht schon alle vor Omikron ungeimpft mit Corona angesteckt und im besten Fall sind es noch viermal weniger, wenn man die schweren Fälle in Relation auch mit unentdeckten Infektionen stellt. Doch die Zahl der Personen, die ihrer Arbeit nur noch erschwert oder gar nicht mehr nachgehen können, geschweige sich darüber hinaus in ihrer Freizeit belasten können, ist relevant.