Manche Patienten leiden nach einer Chemotherapie an «Gehirnnebel» – genau wie Personen mit Long-Covid
Was verursacht eigentlich diese «Fatigue» und der «Gehirnnebel», also die bleierne Müdigkeit und anhaltende Unkonzentriertheit von denen bei Long Covid so oft die Rede ist? Daran leiden auch ME/CFS-Patienten – eine Krankheit, die ebenfalls durch eine Virusinfektion ausgelöst werden kann und bei der die Betroffenen nicht selten bettlägerig sind.
Gregory Frez, der sich am Kantonsspital Chur auf die chronische Müdigkeit spezialisiert hat, wies schon vor zwei Jahren darauf hin, dass nicht nur Long Covid- und ME/CFS-Patienten daran leiden, sondern auch manche Krebskranke, nach einer Chemotherapie. Bei rund der Hälfte kommt es zu einer lang anhaltenden Müdigkeit und dem «Chemo brain», dem Gehirnnebel.
Die Symptome sind vergleichbar wie bei Long Covid
Diese Parallele zogen auch die Autoren um die Neuroonkologin Michelle Monje von der Standford University in einer kürzlich erschienenen Studie im Magazin «Cell». Sie schreiben: «Die kognitiven Symptome, welche Leute nach Covid-19 häufig haben, ähneln stark der kognitiven Beeinträchtigung nach einer Chemo-Therapie.»
Verursacher beim «Chemo-Brain» sind offenbar die Gewebsmakrophagen Mikroglia. Das sind Fresszellen, welche das Immunsystem im Zentralen Nervensystem einsetzt um Viren, Bakterien und Schadstoffe zu fressen. Die Mikroglia werden dauerhaft aktiv, nachdem sie gewissen Medikamenten einer Chemotherapie ausgesetzt waren oder auch nach einer Bestrahlung des Kopfes.
Erwiesen ist, dass eine Untergruppe der Mikroglia in der weissen Gehirnmasse manchmal aktiviert wird nach einer Therapie mit dem Medikament Methotrexat. Dies führt laut den Autoren dazu, dass Mechanismen im Nervensystem gestört werden. Zum Beispiel die Funktion der Myelin-formenden Oligodendrozyten. Myelin ist eine Schutzschicht aus Proteinen und Fetten, welche die Nervenzellen ummantelt und dafür sorgen, dass die elektrischen Signale ohne Ablenkung ans Ziel gelangen.
Die Isolation um die Nerven wird beschädigt
Anne-Katrin Pröbstel, Neuroimmunologin in Basel erklärt: «Man geht davon aus, dass die Mikroglia durch die Überaktivierung die isolierende Myelinschicht angreifen. So wird die Funktion der Nervenleitung beeinträchtigt.» Das Phänomen ist auch von der Multiplen Sklerose (MS) bekannt: Bei der Autoimmunkrankheit wird die Myelin-Schicht aber zusätzlich durch Autoimmunzellen angegriffen bis zur kompletten Zerstörung. «Die Daten aus Tierexperimenten deuten darauf hin, dass bei Long Covid die Schädigung der Myelinschicht eher diffus ist», sagt Pröbstel.
Sie kennt das Phänomen des Gehirnnebels von ihren Gehirntumorpatienten nach der Chemotherapie. Etwa 30 Prozent seien davon schwer betroffen, 10 bis 20 Prozent leicht. Sie sagt: «Das Ziel der Forschung müsste sein, die überaktiven Mikroglia-Fresszellen zu entfernen.» Um so das Immunsystem wieder in die Balance zu bringen.
Auch zirkulierende Zytokine könnten die Verursacher sein
Vielleicht sind nicht nur die Fresszellen ein Problem sondern auch zu viele zirkulierende Zytokine. Diese Entzündungsstoffe die zur Bekämpfung einer Infektion im Körper vorkommen, könnten ebenfalls zu den kognitiven Beeinträchtigungen führen. Denn so kann die Entstehung neuer Neuronen im Hypocampus, also dem Arbeitsspeicher des Gehirns, gestört werden.
Dies wurde auch schon nach Grippeinfektionen beobachtet, ist dann jedoch selten so lang anhaltend wie nach Covid-19 oder einer Chemotherapie.