Neu soll die Einwohnerzahl entscheidend sein: Grossräte wollen Fehlanreize bei Wohnen im Alter beseitigen
Ältere Menschen sollen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben können. Das ist ein Ziel der kantonalen Alterspolitik. Um das Ziel zu erreichen, braucht es Angebote für Wohnen im Alter. Doch für die Gemeinden ist es nicht attraktiv, Alterswohnungen zu bauen. Es gibt einen Fehlanreiz im System.
Zieht eine Seniorin aus Egliswil in Seon in ein Pflegeheim, muss die vorherige Wohngemeinde, Egliswil, die Pflegerestkosten bezahlen. Auch wenn die Seniorin aus Egliswil in eine Alterswohnung in Seon zieht und ab dem ersten Tag Pflegeleistungen bezieht, bezahlt Egliswil die Restkosten. Anders verhält es sich, wenn die Seniorin aus Egliswil in eine Alterswohnung nach Seon zieht, aber erst später Pflege benötigt. Dann bezahlt die Restkosten nicht die Gemeinde Egliswil, sondern Seon.
Einwohnerzahl als Basis für Kostenverteilung
Gemeinden mit vielen Angeboten zum Wohnen im Alter werden also mit überproportional hohen Pflegerestkosten bestraft, wenn die älteren Leute in ein Pflegeheim umziehen. Ein Fehlanreiz, den Grossrätinnen und Grossräte aus allen Fraktionen beseitigen wollen. Sie haben den Regierungsrat aufgefordert, die rechtlichen Grundlagen so anzupassen, dass die gesamthaft im Kanton anfallenden Restkosten für die stationäre Pflege den Gemeinden nach Massgabe derer Einwohnerzahl weiterverrechnet werden. Ende März reichten sie im Grossen Rat eine entsprechende Motion ein.
Der Regierungsrat lehnt die Motion ab, ist aber bereit, sie als weniger verbindliches Postulat entgegenzunehmen. Das geht aus der am Freitag publizierten Antwort auf den Vorstoss hervor. Die Regierung führt aus, dass seit der Neuordnung der Pflegefinanzierung grundsätzlich in allen Kantonen eine personenbezogene finanzielle Unterstützung gelte. Für die Finanzierung der Pflegerestkosten sei unabhängig vom Wohnsitz diejenige Gemeinde zuständig, in der die pflegebedürftige Person vor dem Eintritt ins Pflegeheim wohnte und Steuern zahlte.
Wenn man nun – wie es die Motionärinnen und Motionäre fordern – die Pflegerestkosten nach Einwohnerzahl auf die Gemeinden verteilte, würde dies nur zu neuen Fehlanreizen führen, warnt die Regierung. «Gemeinden mit vielen Einwohnern, aber wenig Pflegebedürftigen würden überdurchschnittlich belastet», hält der Regierungsrat in seiner Antwort fest. Er befürchtet weiter, dass durch diese Kostenverteilung der Anreiz für die Gemeinde geschwächt wird, ambulante Strukturen zu fördern, weil sie nicht mehr direkt für die Finanzierung verantwortlich wären, sollte ein Einwohner in ein Pflegeheim in einer anderen Gemeinde ziehen.
Heute schon Ausnahme bei Schwerstpflegebedürftigen
Das System, das die Motionärinnen und Motionäre einführen wollen, gibt es bereits heute bei Schwerstpflegebedürftigen. In diesen Fällen werden die Restkosten nach Einwohnerzahl auf die Gemeinden verteilt. Das mache für solch spezialisierte, kostenintensive Leistungen Sinn, weil die Fallzahlen sehr niedrig seien, schreibt die Regierung. Noch ist die Forderung, die Pflegerestkosten nach Einwohnerzahl zu verteilen, nicht vom Tisch. Das letzte Wort in dieser Sache hat der Grosse Rat. Er kann die Motion immer noch gegen den Willen der Regierung überweisen.
Die Finanzierung der Langzeitpflege wird auch unabhängig von der Motion noch für Diskussionen sorgen. Als Gesundheitsdirektor Jean-Pierre Gallati vor gut zwei Wochen die gesundheitspolitische Gesamtplanung in die Anhörung geschickt hat, zeigte sich, dass Parteien und Regierung bei der Finanzierung der Heim- und Spitexkosten andere Pläne haben als die Regierung in ihrem Strategiepapier.
Der Regierungsrat will die Finanzierung der Heim- und Spitexkosten weiterhin den Gemeinden überlassen und ihnen dafür mehr Kompetenzen und Freiheiten bei der Tarifgestaltung geben. Erste Reaktionen der Parteien deuteten hingegen eher daraufhin, dass sie es begrüssen würden, wenn alle Bereiche des Gesundheitswesens aus einer Hand – vom Kanton – finanziert würden.