Erstmals reisst ein Luchs im Aargau Schafe – und tappte bei der Rückkehr zur Beute in die Fotofalle
«Im Kanton Aargau werden regelmässig einzelne Luchse nachgewiesen. Übergriffe auf Nutztiere und ein negativer Einfluss auf Wildtierbestände sind zurzeit nicht feststellbar.» Das steht in einem Papier des Kantons aus dem Jahr 2019 zum Umgang mit Grossraubtieren im Aargau. Nutztiere seien wirksam vor dem Zugriff von Wildtieren zu schützen, heisst es in dem Dokument weiter, doch bislang seien keine Nutztiere von Luchsen gerissen worden.
Inzwischen hat sich dies jedoch geändert, auf der Website der kantonalen Sektion Jagd und Fischerei ist ein Luchsriss dokumentiert. «22.03.2022, Erlinsbach: Luchsriss (2 Schafe, Foto nachträglich installierter Fotofalle)» heisst es dort, zudem hat der Kanton ein Bild publiziert, das einen Luchs neben einem toten Schaf zeigt.
Experte bestätigt: Es ist der erste Luchsriss im Kanton
Erwin Osterwalder, Fachspezialist bei der Sektion Jagd und Fischerei des Kantons, sagt auf Anfrage:
«Beim Fall in Erlinsbach im März handelt es sich um den ersten Luchsriss im Aargau, zuvor hat nie ein Luchs ein Nutztier gerissen.»
Die Schafe weideten laut Osterwalder in einer Christbaumkultur, die sich in einem Waldgebiet befindet und eingezäunt ist. Der betroffene Landwirt meldete die zwei toten Schafe dem Jagdaufseher, dieser informierte die kantonale Sektion Jagd und Fischerei.
«Wenn ein Luchs ein Reh oder ein anderes Wildtier reisst, kommt er normalerweise immer wieder zurück und frisst von der Beute, bis nichts mehr übrig ist», sagt Osterwalder. Die Experten des Kantons installierten deshalb bei den toten Schafen umgehend eine Wildtierkamera – in der Hoffnung, damit definitiv nachweisen zu können, dass es sich um einen Luchsriss handelt.
Luchs tappte in Fotofalle, griff aber keine Nutztiere mehr an
Tatsächlich tappte das Tier einen Tag nach dem Riss in die Fotofalle, die Aufnahme entstand laut Datierung des Fotos um 2.05 Uhr am frühen Morgen des 23. März. «Damit war klar, dass die Schafe von einem Luchs gerissen wurden», erklärt Kantonsexperte Osterwalder. Die Sektion Jagd und Fischerei orientiere sich am Grundsatzpapier zum Umgang mit Grossraubtieren im Aargau aus dem Jahr 2019 und führe bestätigte Luchsrisse auf der Website des Kantons auf.
Osterwalder sagt, der betroffene Bauer sei vom Kanton entsprechend entschädigt worden, und hält fest:
«Glücklicherweise sind Luchsrisse sehr selten und auch das Tier, das in Erlinsbach die zwei Schafe getötet hat, griff danach keine weiteren Nutztiere mehr an.»
Wäre dies der Fall gewesen, hätten sich die Spezialisten des Kantons Gedanken machen müssen, wie man die Weidetiere schützen kann.
Luchse leben sehr heimlich, man bekommt sie kaum zu Gesicht, schon gar nicht tagsüber. Sie sind vor allem im Grenzgebiet der Kanton Aargau, Solothurn und Basel-Land verbreitet, die genaue Anzahl ist unbekannt. «Allerdings hat ein Luchs ein Streifgebiet von 100 Quadratkilometern, es dürfte also nicht mehr als eine Handvoll Luchse sein, die insgesamt im Aargau leben», sagt Osterwalder.
Bauernverband forderte Merkblatt zum Vorgehen bei Raubtierrissen
Dennoch beschäftigt der Luchs – wie auch der Wolf – die Landwirte im Kanton. Der Bauernverband Aargau weist in seinem aktuellen Newsletter auf ein neues Merkblatt hin, in dem geregelt ist, wie Betroffene bei einem Verdacht auf einen Nutztierriss vorgehen sollen. Dies hatte der Verband bei einem Austausch mit der kantonalen Jagdverwaltung gefordert.
Geschäftsführer Ralf Bucher erinnert an den Wolfsangriff auf eine Schafherde im März in Bonstetten ZH, bei dem 25 Lämmer und Mutterschafe getötet wurden. Seither habe es weitere Verdachtsmeldungen von Wolfsrissen gegeben, wobei das Vorgehen nach einem solchen Fall nicht für alle Beteiligten klar gewesen sei. Hier soll das Merkblatt weiterhelfen, das auf den Webseiten des Bauernverbandes und des Kantons aufgeschaltet ist.
Vermeintlich gerissenen Nutztierkadaver möglichst so belassen, wie er aufgefunden wurde (nicht anfassen).
Zum kurzzeitigen Schutz den Kadaver mit einem Sichtschutz versehen oder einer Plane zudecken. Es dürfen keinesfalls weitere Tiere (z. B. Hunde) oder Personen mit dem Kadaver in Kontakt kommen, da sonst das organische Material für eine eventuelle Probenahme kontaminiert werden könnte.
Umgehend einen Rissexperten der Sektion Jagd und Fischerei (062 835 28 57) informieren, damit er die Situation vor Ort beurteilen kann.
Bei vermuteten Schäden an Nutztieren durch Raubtiere würden zuerst der Kadaver und das Umfeld untersucht, schreibt der Bauernverband weiter. Falls nötig, wird nach Möglichkeit «organisches Material (Kot, Speichel, Haare, etc.) des potenziellen Schadenverursachers durch die Fachpersonen der Sektion Jagd und Fischerei gesammelt». Eine solche Probe wird dann zur genetischen Untersuchung an ein spezialisiertes Labor geschickt.