Pilotprojekt gescheitert: Auch 2023 wird kein Strom aus Geothermie produziert – wie geht es nun weiter?
Aufgrund der drohenden Strommangellage befindet sich die Schweiz in einem Ausbaurausch erneuerbarer Energien. Solarmodule, Windanlagen und Wasserkraft stehen dabei im Zentrum der omnipräsenten Energiewende.
Fast vergessen geht, dass auch mit der Geothermie grosse Hoffnungen verbunden sind. Lange Zeit ging das Bundesamt für Energie davon aus, dass mit der Wärme aus dem Erdinnern bis 2050 über vier Terawattstunden Strom pro Jahr produziert werden könnte. Das gleiche Potenzial wird auch der Windenergie zugeschrieben. Weil es nicht wie gewünscht vorwärts ging, wurden die Schätzungen bei der Geothermie mittlerweile nach unten korrigiert. Eine Steigerung von heute null auf zwei Terawattstunden im Jahr 2050 gilt als realistisch. Dies entspräche rund zwei Drittel der Leistung des AKW Mühleberg.
Der erste Schritt zur Erreichung dieses Ziels hätte bereits nächstes Jahr im Kanton Waadt erfolgen sollen. Ein Projekt in Lavey-les-Bains sah vor, ab 2023 900 Haushalte mit Elektrizität zu beliefern, was eine schweizweite Premiere gewesen wäre. Diese Woche teilte das Unternehmen Alpine Geothermal Power Production (AGEPP) jedoch mit, dass das Projekt auf Eis gelegt wird. Die Bohrung in eine Tiefe von fast 3000 Metern sei zwar erfolgreich gewesen und es gebe am Grund des Bohrlochs eine genügend hohe Temperatur. Doch die Menge an Warmwasser reiche nicht aus, um Elektrizität zu generieren. Die Bohrplattform wird deshalb bereits abgebaut.
Branche spricht von «Enttäuschung»
Strom aus Geothermie wird also auch nächstes Jahr in der Schweiz keiner produziert. Hat die Nachricht aus Lavey darüber hinaus Auswirkungen? Nathalie Andenmatten, Präsidentin des Dachverbandes Geothermie Schweiz, sagt dazu:
«Die Meldung ist eine Enttäuschung, doch sie stellt die Dynamik von anderen Projekten nicht in Frage.»
Das Projekt in Lavey befindet sich nämlich in einem besonderen geologischen Kontext, dank welchem in 3000 Meter Tiefe ausreichend warmes Wasser für die Stromerzeugung erwartet wurde. Normalerweise seien die Temperaturen in dieser Erdschicht dafür zu gering, sagt Andenmatten. Bei der mitteltiefen Geothermie (400 bis 3000 Meter) steht darum generell die Wärmeproduktion im Fokus, die weniger Hitze voraussetzt (siehe Kasten).
Die Wärme aus dem Untergrund wird in der Schweiz bereits zum Heizen von Gebäuden genutzt. Heute geschieht dies vor allem via Erdwärmesonden. Zudem liefert eine erste Geothermieanlage in Riehen (BS) 0,2 Terawattstunden Wärme pro Jahr. Geht es nach dem Dachverband Geothermie Schweiz, sollen rund 250 weitere solche Anlagen mit einer Tiefe von 1000 bis 3000 Metern entstehen. Schätzungen zufolge könnte die Geothermie 2050 so jährlich 17 Terawattstunden Wärme produzieren, was einem Viertel des heutigen Bedarfs der Schweiz entspricht. Schub verleihen will diesen Plänen auch die Politik: Nationalrätin Katja Christ (GLP/BS) fordert mit einem Postulat einen Bericht, in dem das Potenzial der Energiequelle geprüft und ein Zeitplan zur Erschliessung aufgezeigt wird. Der Bundesrat lehnt das Postulat jedoch ab, weil die Anliegen bereits erfüllt oder Teil von laufenden Arbeiten seien.
Für die Stromproduktion ruhen die Hoffnungen dagegen auf der Tiefengeothermie. Die Pionierrolle nimmt hier ein Projekt im jurassischen Haute-Sorne ein. Es erhielt nach einer jahrelangen Blockade diesen Januar vom Kanton unter strengen Sicherheitsauflagen grünes Licht.
Gestartet werden soll mit den Bohrungen in die Tiefe von bis zu 5000 Metern im Jahr 2024. Dabei kommt eine andere Technologie als in Lavey zur Anwendung: So wird nicht eine natürliche Quelle ausgenutzt, sondern kaltes Wasser in den tiefen Untergrund gepresst. Dadurch entstehen Risse, in denen das Wasser zirkuliert und sich erwärmt.
Erdbeben bleibt in Erinnerung
In Basel dürfte diese Beschreibung schlechte Erinnerungen wecken. Denn als der Untergrund im Jahr 2006 mit Wasserinjektionen stimuliert wurde, bebte die Erde mit der Stärke 3,4. Das Tiefengeothermie-Projekt musste abgebrochen werden. Besteht diese Gefahr auch im Jura?
Laut Geo-Energie Suisse, der Betreiberin des geplanten Geothermiekraftwerks, sollen mit einem angepassten Verfahren Beben, die Schäden verursachen könnten, verhindert werden. CEO Peter Meier führt aus:
«Während in Basel während sechs Tagen 12’000 Kubikmeter Wasser ins Bohrloch gepresst wurden, setzen wir auf ein etappenweises Vorgehen ohne derart grosse Stimulationen.»
Konkret soll der Untergrund über ein halbes Jahr hinweg lokal begrenzt mit Injektionen von 500 bis 1500 Kubikmeter Wasser behandelt werden.
Ob diese neue Methode funktioniert und ab 2029 wie geplant Strom für 9000 jurassische Haushalte fliesst, werden die nächsten Jahren zeigen. Klar ist aber bereits jetzt: Der Erfolg des Projekts Haute-Sorne wird entscheidend dafür sein, ob sich die Tiefengeothermie noch zu einem wichtigen Pfeiler der Energiewende entwickelt oder nicht.