Wächst die Infrastruktur mit der Bevölkerung mit?
Können Sie sich an die Ecopop-Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» erinnern, über die wir im November 2014 abgestimmt haben? Ein von seiner politischen Ausrichtung her nebulöses Komitee mit Sitz in Effingen forderte, das Wachstum der Menschheit und insbesondere der Bevölkerung in der Schweiz zu begrenzen. Ein Beispiel aus dem Massnahmenkatalog: Die Schweiz solle in «ärmeren Ländern» in die Familienplanung (Verhütung) investieren. Das war allen im Bundesparlament vertretenen Parteien ein falscher Ansatz, um das Bevölkerungswachstum in der Schweiz, den Landverschleiss, die resultierenden «exorbitanten Mieten und überlasteten Sozialwerke» zu korrigieren. Alle Stände und 74,1 Prozent der Stimmberechtigten sagten Nein zu den Forderungen der Initianten aus der Bözberg-Gemeinde.
Nicht zuletzt mit Blick auf unseren Wohlstand, unsere Arbeitsplätze oder die Finanzierung unserer Altersversorgung wäre eine strikte Begrenzung der Zuwanderung fatal – ja tödlich. Mit Letzterem ist der Umstand gemeint, dass unsere Spitäler derzeit Betten «stilllegen» müssen, weil ihnen Pflegepersonal, teils auch Ärztinnen und Ärzte, fehlen. Auch in anderen Sparten und Berufen – und bei ungelernten Arbeitskräften sowieso – herrscht Mangel. Also müssen wir den Hebel bei den Ressourcen ansetzen. Insbesondere beim Energiebedarf und bei der Verkehrsinfrastruktur. Letztere Herausforderung will die kantonale Politik mit regionalen Gesamtverkehrskonzepten meistern.
Ganz und gar nicht mit der Stossrichtung dieser Planungen einverstanden ist die SP Aargau. Sie schrieb letzte Woche: «Diese Verkehrspolitik führt dazu, dass nach und nach das gesamte Mittelland zubetoniert und überbaut wird … davon profitiert insbesondere auch der ausländische Schwerverkehr.» Liest man da zwischen den Zeilen einen sozialdemokratischen Wunsch, die Schweiz zur Insel ohne ausländische Autos zu machen? Schaut man sich die Verkehrsprobleme in den Regionen Baden und Brugg an, leiden tatsächlich viele Gemeinden an massivem Lastwagenverkehr. Die Aussage, das sei Transitverkehr von Waldshut in Richtung Schweizer Autobahn, ist so nicht haltbar.
Vor drei Wochen fand in Baden eine regionale Mobilitätskonferenz statt. In einem breiten und in der Mobilitätsplanung des Kantons Aargau bisher einzigartigen Partizipationsprozess bezog der Regierungsrat die betroffenen Gemeinden, aber auch Verbände, Interessengruppen, Organisationen und Jugendliche – rund 180 Personen – in die Meinungsbildung ein. Eine erste und wichtige mit Daten und Fakten untermauerte Feststellung: Das Verkehrsaufkommen in der Region ist primär hausgemacht. Der regionale Durchgangsverkehr durch den gesamten Raum – also ohne Start oder Ziel in einer der Gemeinden – wird zum grossen Teil auf der Bahn oder der Nationalstrasse abgewickelt – was mit Bestimmtheit auch für das Wiggertal gelten dürfte. Die Lastwagen ab Waldshut haben zudem zu einem schönen Teil ihr Transportziel in der Region Baden-Brugg – beliefern die dortigen Unternehmen, bringen «Sauerstoff» für deren Arbeitsplätze.
Eine andere Erkenntnis, die in neue Planungen einfliessen muss: Nicht Fahrzeuge sind wichtig, sondern deren Transportkapazität und Nutzung. Auf der Badener «Verkehrs-Aorta» Mellingerstrasse transportieren pro Tag 22 100 Personenwagen 29 900 Leute, der Bus 15 500 und per Velo sind 1200 Personen unterwegs. Nur 1200 Velofahrerinnen und -fahrer? Die Veloroute ist alles andere als optimal. Die Zahl der Busfahrten und damit der transportierten Personen kann man nur steigern, wenn man dafür sorgt, dass der öV nicht mit den Personenwagen im Stau steckt und Hindernisse, wie die Barriere der Nationalbahn auf der Äusseren Luzernerstrasse, beseitigt sind.
«Es ist bekannt, dass neue Strassenprojekte, die vermeintlich zur Entlastung dienen sollten, immer noch mehr Verkehr fördern», wenden die Sozialdemokraten ein. Adrian Schoop – FDP-Grossrat, Gemeindeammann von Turgi und «Turbo» hinter einer Fusion seiner Gemeinde mit Baden – weist in einem Vorstoss darauf hin, dass mehr Menschen in unserem Land dessen Verkehrsinfrastruktur an ihre Grenzen bringen. Zahlen aus Schoops Interpellation: Die Schweizer Gesamtbevölkerung ist seit 1990 um 30,9 Prozent auf 8,739 Millionen Personen im Jahr 2021 angestiegen. Im Kanton Aargau zählte man 1990 496 291 Einwohnerinnen und Einwohner – 2021 waren es 703 186. Dies entspricht einem Bevölkerungswachstum von 41,7 Prozent. Parallel dazu eine Verdoppelung der Staustunden auf unseren Strassen.
Laut Bevölkerungsprognose werden 2050 im Aargau 905 000 Personen leben. Für Schoop ist es fraglich, «ob die Schweiz und der Kanton Aargau ein solch rasantes Wachstum der Bevölkerung bewältigen kann». Konkret will er vom Regierungsrat wissen: «Wie soll der zusätzliche Energiebedarf für die wachsende Bevölkerung gedeckt werden? Wie die Klimaziele erreicht werden?» Wie wirkt sich das Bevölkerungswachstum auf das Gesundheitssystem aus, das ja bereits heute unter Fachkräftemangel leidet?
Eine Antwort zu “Wächst die Infrastruktur mit der Bevölkerung mit?”
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Schön Herr Kirchhofer, dass sie wieder mal ECOPOP erwähnen. Wir sind aber kein nebulöses Komitee, sondern die einzige Umweltorganisation der Schweiz, welche auch die Bevölkerungszahl als wichtigen Treiber des Ressourcenverbrauchs und der Umweltbelastung thematisiert. Den Verein ECOPOP gibt es übrigens schon seit mehr als 50 Jahren!
Mit unserer Initiative 2014 wollten wir zwei Bevölkerungsthemen angehen. Das eine ist die rasant wachsende Bevölkerung in den ärmsten Ländern des Südens, welche sich mit der grossen Kinderzahl, hoher Jugendarbeitslosigkeit, Teenagerschwangerschaften und daraus folgenden Schulabbrüchen jegliche Aussichten auf eine prosperierende Zukunft verbauen. Laut UNO haben über 230 Mio Paare keinen Zugang zu Verhütungsmitteln, jedes Jahr kommen über 130 Mio Kinder aus unerwünschten Schwangerschaften zur Welt. Ob die Bevölkerung von, z.B. Nigeria von heute 216 Mio im Jahr 2100, 1,2 Milliarden Menschen oder „nur“ 280 Mio Menschen beträgt (Spannweite der UN-Prognosen!), spielt evtl. nicht so eine grosse Rolle für die Migration in die Schweiz, aber für Nigeria selber ist es entscheidend. ECOPOP verfolgt hier den Ansatz, dass das UNO-Menschenrecht auf freiwillige Familienplanung konsequent durchgesetzt und auch finanziell alimentiert wird. Die Schweizer Entwicklungshilfe täte gut daran, wenn sie sexuelle Aufklärung und Zugang zu Verhütungsmitteln in allen ihren Projekten integrieren würde. Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden bisher nur 16 % der Mittel zugesagt, die zur Beseitigung der schlimmsten geschlechtsspezifischen Ungleichheiten – einschließlich Kinderheirat, geschlechtsspezifischer Gewalt und des ungedeckten Bedarfs an Familienplanung – erforderlich sind. Der zweite Teil unserer Volksinitiative befasste sich mit dem Bevölkerungswachstum der Schweiz. Diese wächst nach wie vor in nie dagewesenem Tempo. Die Probleme mit fehlender Infrastruktur, Staus auf den Strassen, Dichtestress vielleicht bald noch Strom- und Energiemangel zeigen klar, dass dies der Volkswirtschaft schadet. Dies ist eine nie endende Spirale. Trotz 1,5 Mio Bevölkerungswachstum in den letzten 20 Jahren sind – Stand heute- immer noch 250’000 Stellen unbesetzt. Ja, Herr Kirchofer, auch die Zuwanderer brauchen Spitalpersonal! Zudem drängend wir die Natur- immer mehr zurück. Die Schweiz hätte übrigens die Klimaziele von Paris erreicht (pro Kopf gerechnet) ! Aber weil wir in den letzten 20 Jahren um 1,5 Mio Menschen gewachsen sind, haben wir natürlich auch hier sämtliche Vorgaben verpasst! Darum sind wir nach wie vor überzeugt: echte Nachhaltigkeit kann nur erreicht werden, wenn sich die Bevölkerung auf einem umwelt- und sozialverträglichen Niveau stabilisiert!