Ukraine zieht vor Cherson Zehntausende Soldaten zusammen – russischer General deutet möglichen Rückzug an
Die ukrainische Armee hat zur Befreiung des besetzten Gebietes Cherson im Süden des Landes nach russischen Angaben Zehntausende Soldaten zusammengezogen. Bisher sei die Lage «stabil», eine mögliche Offensive habe noch nicht begonnen, sagte der Vizechef der Besatzungsverwaltung, Kirill Stremoussow, am Mittwoch der russischen Nachrichtenagentur Tass zufolge. Man erwarte aber einen Angriff. Von der Ukraine gab es zunächst keine Angaben.
Cherson fiel bereits Anfang März – also kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen das Nachbarland – als einzige ukrainische Gebietshauptstadt in russische Hand. Präsident Wladimir Putin verkündete im Oktober den Anschluss des Gebiets an Russland. International wird die völkerrechtswidrige Annexion des ukrainischen Oblasts nicht anerkannt. Die russischen Soldaten auf dem rechten Dnipro-Ufer gelten als weitgehend abgeschnitten.
Der Chef der russischen Besatzungsverwaltung von Cherson, Wladimir Saldo, kündigte die Evakuierung von Zivilisten vom rechten Dnipro-Ufer an. Saldo sprach von «etwa 50’000 bis 60’000» Menschen, die auf das linke Ufer oder nach Russland gebracht werden sollten. Dies werde etwa sechs Tage in Anspruch nehmen. Es stünden schon Boote bereit, sagte Saldo. Der Agentur Tass zufolge wurden die Bewohner des Gebiets bereits per SMS von den Plänen informiert.
Russischer Rückzug ist möglich
Der neue Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine, Sergej Surowikin, hatte die Lage in dem Frontabschnitt am Vorabend im russischen Fernsehen als schwierig bezeichnet. Es war ein ungewöhnlicher Auftritt des Armeegenerals, denn eigentlich zeigen sich russische Generäle nie im Fernsehen. Nach mehreren Rückschlägen für die russische Armee hatte Putin Anfang Oktober Surowikin zum Oberbefehlshaber über alle Truppen in der Ukraine ernannt.
Der General sagte, die Ukraine beschiesse Wohnhäuser und die Infrastruktur von Cherson. Durch Artillerietreffer seien die Übergänge über den Fluss Dnipro unpassierbar gemacht. Das erschwere die Versorgung. «Wir werden bedacht und rechtzeitig handeln und schliessen auch schwierige Entscheidungen nicht aus», sagte Surowikin. Dies wurde als Hinweis auf einen möglichen russischen Rückzug verstanden.