Die Tücken des Postenzählens – Ruth Humbel wehrt sich gegen Spitzenrang im Lobbying-Ranking
Wer im National- oder Ständerat und nebenbei in einem Verwaltungs-, Stiftungs- oder Beirat sitzt, muss dies offenlegen. So steht es im Parlamentsgesetz. Im Schweizer Milizsystem ist es nicht ungewöhnlich, dass sich Politikerinnen und Politiker neben ihrem Amt auch für einen Verband, eine Interessenorganisation oder ein Unternehmen engagieren. Doch es stellt sich die Frage: Wessen Interessen vertreten sie im Parlament? Jene ihrer Wählerschaft oder jene von Verbänden und Unternehmen?
Einfach zu beantworten ist diese Frage nicht. Insbesondere, weil die Höhe der Entschädigung solcher Mandate nicht offengelegt werden muss. Die NGO Lobbywatch versucht seit Jahren, mehr Transparenz zu schaffen. Gestern stellte sie in Bern eine neue Auswertung vor. Deren Ergebnisse zeigen: Die 246 Bundesparlamentarier und -parlamentarierinnen sind fleissig beim Postensammeln. 2363 Interessenbindungen haben sie aktuell. Im Detail analysiert wurde erstmals die Verteilung der bezahlten Mandate. Ob sein Posten entlöhnt wird oder nicht, müssen die Parlamentarier seit Beginn dieser Legislatur offenlegen.
Wie umgehen mit Verwaltungsratssitzen von grossen Gesellschaften
Den Spitzenplatz auf der Rangliste belegt Nationalrätin Ruth Humbel (Mitte/AG) mit 21 bezahlten Mandaten. Humbel wehrte sich am Montag gegen die zweifelhafte Auszeichnung. Einige der laut Lobbywatch-Auswertung bezahlten Mandate seien ehrenamtlich oder es handle sich gar nur um einfache Vereinsmitgliedschaften, sagt Humbel. Sie habe lediglich sieben Interessenbindungen, die sie transparent auf der Website des Parlaments ausgewiesen habe. Dazu gehört auch der Einsitz im Stiftungsrat der Stiftung Vita Parcours, der mit 150 Franken pro Jahr entschädigt werde.
Ein Teil der Diskrepanz in den Zahlen rührt daher, dass Lobbywatch bei Firmengruppen auch sämtliche Gruppengesellschaften mitzählt. So ist Humbel als Verwaltungsrätin beim Krankenversicherer Concordia auch Mitglied des Aufsichtsgremiums über mehrere Gruppen- und Tochtergesellschaften. Otto Hostettler, Co-Präsident von Lobbywatch, verteidigt die Praxis. Für den Durchschnittsbürger sei nicht nachvollziehbar, welche Gesellschaften mit durchaus unterschiedlichen Interessen sich unter dem Dach der Concordia befinden. Das Wesen der Transparenz sei es aber, möglichst grosse Nachvollziehbarkeit zu schaffen.
Bürgerliche profitieren mehr von bezahlten Mandaten
An der Medienkonferenz betonte Thomas Angeli, Co-Präsident von Lobbywatch, solche Interpretationsfragen seien die Konsequenz einer «politisch gewollten Unschärfe». So sei nicht bei allen Parlamentariern klar, welches ihre Haupttätigkeit ist. Diese fliesst nicht in die Auswertung ein. Manche Parlamentarier sind aber hauptberuflich für einen Verband tätig, wie etwa SP-Nationalrat Fabian Molina, der als Co-Präsident des Hilfswerks Swissaid arbeitet. Für Lobbywatch braucht es «zwingend strengere neue Regeln» für eine vollständige Offenlegung der finanziellen Interessen.
Entsprechende Vorstösse im Parlament scheiterten mehrfach. Zuletzt lehnte die Staatspolitische Kommission des Nationalrats einen Fraktionsvorstoss der SP ab. Immerhin ein Drittel der Parlamentarier – quer durch alle Parteien – legt die Höhe der Entschädigung freiwillig offen.
Vor allem bürgerliche Parlamentier profitieren von bezahlten Mandaten. Am meisten, nämlich 245, haben die Mitglieder der Mitte-Fraktion. Dahinter folgen FDP (218 bezahlte Mandate) und SVP (186). Bei SP (118), Grünen (64) und Grünliberalen (45) sind es deutlich weniger bezahlte Mandate.