Sie sind hier: Home > Genuss > Buch und Wein, das lass‘ sein – oder findet Madelyne Meyer Deinen Wein?

Buch und Wein, das lass‘ sein – oder findet Madelyne Meyer Deinen Wein?

Die Weinautorin Madelyne Meyer will den Menschen helfen, ihren Wein zu finden. Dafür redet sie über Weine wie Kinder über Sirup.

Der Herbst ist nicht golden, sondern weinrot: Die Grossverteiler über- und untertrumpfen sich mit Wein-Aktionen, die Weinbauern haben die Ernte unter Dach und Fach und starten mit dem Verkauf der Weine aus den Vorjahren, die Weinmessen lösen die bierseligen Oktoberfeste ab, und auf dem Zürcher Bürkliplatz können an der Expovina auf 11 Schiffen 4000 Weine von 160 Ausstellern degustiert werden.

Für Menschen, die sich ein wenig für Wein interessieren, gibt es kein lehrreicheres Volksfest. Chäschüechli-Duft inbegriffen. Man kann dort die alten Bekannten, die im eigenen Keller liegen, degustieren und hinterfragen sowie versuchen, neue Weine zu entdecken.

Ob es hilfreich ist, auch noch ein Buch mit dem Titel «Finde Deinen Wein» zu kaufen, das im Untertitel verspricht, «einfach», «schnell» und «kompetent» zu sein? Vielleicht. Wenn das erste Kapitel allerdings die Überschrift «Von der Weinbloggerin zur Weinhändlerin» trägt, bimmeln bei so manchen die Alarmglöcklein.

Welcher Wein passt zu meinem Cervelat-Salat?

Aber wir Weintrinkenden sind selber schuld. Gerade wegen unserer nicht weiter gefährlichen Verunsicherung bei der Weinwahl ist es nur natürlich, dass wir den Spezialisten ehrfürchtig zuhören, sie sich wiederum umso exaltierter in Szene setzen und mit ihrem Wissen Wein-Imperien aufbauen. Wir halten nicht nur ehrfürchtig hoch bewertete (uns somit teure) Wein in der Hand, sondern lassen uns von den «Masters of Wine» unsere bange Frage, welcher Tropfen zu unserem Cervelat passt, für einen kleinen Aufpreis gern beantworten.

Ist es so schwierig herauszufinden, welchen Wein man mag? Oder ist es gar nicht so wichtig, solange die Qualität stimmt?
Maryna Terletska / Moment RF/ Getty Images

Hat der Mensch keine Zeit, Dutzende Weingüter zu besuchen und Hunderte Weine jährlich zu degustieren, braucht er nun mal autoritäre Vorkoster. Ob Schwander, Meyer oder Kurt, ihre Mittel sind mittlerweile dieselben: Service ist alles – und via «Welcher Wein passt zu Deiner Pizza?» wird unsereins animiert, das Bestellformular mitsamt Rechnungsadresse auszufüllen.

Die Weinexpertin Madelyne Meyer.
Zvg

Die 33-jährige Weinbuch-Autorin und Vorkosterin Madelyne Meyer nimmt die Weintrinker in ihrem zweiten Buch so liebevoll an die Hand, dass wir uns an die Wärme des Kindergartens zurückerinnert fühlen. In der kuschligen Ecke halten wir allerdings statt des Teddybären ein breitbauchiges Burgunderglas in der Hand. Das Bouquet einatmend hören wir statt des Singsangs der Märchentante die Weinkennerin Meyer auf Augenhöhe mit modern-cooler Sprache alles über unseren Wein erzählen.

Warum Menschen belehren, die glücklich nichts wissen?

Bei aller Sympathie gegenüber diesem Lehrbuch fragt man sich irgendwann: Sind wir Weintrinker wirklich alle so naiv? So weinuninteressiert? So unbeholfen? Und falls ja, möchte man manchen Wein trinkenden Menschen vorschlagen, auf Bier, Cognac oder nicht-alkoholische Getränke zu wechseln.

Wenn es ums Empfehlen von Wein geht, ist den Händlern kein Superlativ zu einfach. Ellen Wallace aber untertitelt ihr Buch «Weinwandern Schweiz» spektakulär mit «Die aktivste Art, Schweizer Weine zu entdecken». Naturgemäss schlagen wir wundernasig die Seiten auf – und haben grossen Spass. Es ist ein Buch der hundert prächtigen Anregungen, führt Wallace die Lesenden doch durch die schönsten Schweizer Weinregionen und zum Ende einer jeden Wanderung in eine berühmtes Weingut. Genf, Waadt, Wallis, drei Seen, die westliche und östliche Deutschschweiz sowie das Tessin werden durchstreift, geografische und kulturelle Grossartigkeiten erwähnt und viel Wein angeboten. Am Ende vergisst Wallace nicht, die (nicht identischen) Top-5 Weingüter und Top-5- Wanderungen erwähnt zu haben. (bez)

Ellen Wallace: Weinwandern Schweiz, Die aktivste Art, Schweizer Weine zu entdecken, Helvetiq 2022, 30 Fr.

Aber wenn nun ein 43-jähriger Durchschnittsschweizer, der Wein ein wenig gerne hat, nach 25 Trinkjahren keine Ahnung hat, ob er Pinot Noir oder Merlot lieber hat, dann wird es ihm wohl auch mit 86 so ergehen. Er spaziert zu Coop, kauft den Wein mit der Eidechse oder dem schönen Wappen und hat zu Hause etwas Spass daran. Es ist ihm aber auch egal, dass der Wein nicht grossartig ist. Er kam leicht durchs Leben, ohne je seinen «Weinstil» gefunden zu haben.

Genau diesen Stil aber will Meyer die Lesenden entdecken lassen. Sie geht davon aus, dass ihre Adressaten Wein trinken, gewisse Tropfen gar lieben, andere hassen, aber davon keine vertiefte Ahnung haben. Diese Menschen will sie fern der nasengesteuerten Begriffe wie Unterholz oder gekochten Brombeeren lehren, was sie mögen.

Allgemeiner und lesenswert wird Meyer, wenn sie ausführt, welcher Wein zu welchem Gericht passt: zu fettigem, zu scharfen, zu bitteren, zu salzigem. Und in einem schönen Kapitel gilt es, Weincharaktere zu erkennen, wo die Komponenten Alkohol, Tannine, Säure und Zucker einfach erklärt werden, schliesslich wird über das Aroma geredet, der Zusammenhang zwischen Terroir und Geschmackskomponenten erklärt, schon werden wir über die Flaschenreifung informiert und die acht Weinstiltypen aufgelistet. Wir sind nun bereits weit weg vom Weinregal der tausend Möglichkeiten, haben unseren Blick geschärft, sind bereit, uns beim nächsten Weinkauf zu hinterfragen.

Just in diesem Moment geht Meyer zurück in den Weinladen und belehrt uns, welcher Wein zum (Tinder)Date, zur Garten-Party, zu «unterwegs im Zug» oder am Sonntagabend zum «Tatort» passt. Haben wir das Buch «Weintrinken für Dummies» aufgeschlagen? Später im Buch wird erklärt, wie viele Flaschen und Gläser 2 oder 14 Personen im Restaurant bestellen sollen. Und man fühlt sich wieder im Kindergarten. Diesmal in der Strafecke.

Ist es so schlimm, den «falschen» Wein zu trinken?

Eine grundsätzliche Frage sei nach der Lektüre mit den gezielten Empfehlungen erlaubt: Müssen Menschen, die wenig von Weinen wissen wollen, ausspucken, wenn sie an Primitivo gewohnt sind und an einer Party einen qualitativ guten Pinot Noir erwischen? Könnten wir nicht davon ausgehen, dass den meisten Menschen qualitativ guter Wein im Glas Freude macht, auch wenn es der «falsche» Wein ist? Ein Wein ist trocken, einer süss, der andere kraftvoll, der vierte leicht – gut so! Wir trinken hoffentlich nicht ein Leben lang tagaus, tagein Merlot.

Die erwähnte Sache mit der «guten Qualität» ist allerdings nicht ganz einfach, denn ein günstiger «teurer» Wein ist meist simpel gemacht: Einen Brunello für 17 Franken sollte man eher nicht kaufen, aber für 17 Franken erhalte ich wunderbare Chianti.

Und wenn wir über Preise reden – für Meyer kein Thema –, ist es nicht nebensächlich, dass der Schweizer Weindurchschnittspreis an der Kasse gerade mal 9 Franken beträgt. Kurzum: Reden wir über Weine, ist es, wie wenn wir über Lyrik sprechen: Alle kennen ein Gedicht, aber keiner liest die Verse von Heine oder Neruda im Kämmerlein. Und Sekundärliteratur über die zwei schon gar nicht.

Vielleicht finden Weinfreunde an Ausstellungen ihren Wein? Eventuell gar an der Expovina in Zürich.
Matthias Scharrer / LTA

Falls es nun jemandem nach 25 Jahren des Weintrinkens tatsächlich wundernimmt, welcher Wein ihm oder ihr mundet, wird er oder sie im Buch Meyers Anregungen finden. Einfach lostrinken geht aber auch – etwa an der Zürcher Weinausstellung. Man gibt sich ein Thema und will herausfinden, ob man lieber Weine aus Sangiovese-, Nebbiolo- oder Corvina-Trauben hat, ob man lieber Bordeaux oder Burgunder trinkt.

Einschenken lassen, probieren – und selber denken. Und wenn mal einer am Stand sagt, dieser Wein rieche nach toter Kuh, kann man sich das durchaus durch den Kopf gehen lassen. Die Welt ist nicht so einfach – und Weine auch nicht.