Der Vogel des Jahres 2023 ist ein meisterlicher Stimmen-Imitator
Braungrau gefärbte Oberseite, gelblichweiss die Unterseite. Für einen Vogel eher unscheinbar. Und mit einer Grösse von durchschnittlich 12 bis 14 Zentimeter ist der Sumpfrohrsänger auch klein – etwas kleiner als ein Spatz. Und doch ist der Sumpfrohrsänger zu einem grossen Auftritt gekommen. Denn er wurde von BirdLife Schweiz kürzlich zum Vogel des Jahres 2023 gekürt. «Selbst für versierte Ornithologen ist der Sumpfrohrsänger schwierig zu bestimmen», sagt Beat Rüegger, Co-Präsident des Naturschutzvereins Rothrist. Denn der Vogel des Jahres 2023 hat mit dem Teichrohrsänger einen «Zwillingsbruder», von dem er äusserlich kaum zu unterscheiden ist. «Bis die beiden zu singen beginnen», führt Rüegger weiter aus.
Von ihrem Gesang her sind Teichrohrsänger und Sumpfrohrsänger sofort und einfach zu unterscheiden. Während der Gesang des Teichrohrsängers monoton daherkommt, ist der Sumpfrohrsänger nicht nur ein meisterlicher Sänger, sondern auch ein unglaublicher Imitator anderer Vogelstimmen. Besonders häufig baut der Vogel des Jahres 2023 Gesangsfragmente von Feldlerche, Rauchschwalbe, Amsel, Dorngrasmücke, Blaumeise, Feldsperling, Hänfling und Grünfink in seinen Gesang ein, der auch tagsüber, vor allem aber in der Dämmerung und nachts zu hören ist. «Seine Variabilität im Gesang ist unglaublich», betont Rüegger, der darauf verweist, dass beim Sumpfrohrsänger stimmliche Imitationen von über 200 verschiedenen Vogelarten nachgewiesen sind. Vogelarten, die in Europa und in Afrika heimisch sind.
Sumpfrohrsänger ist ein später Ankömmling
Denn der Sumpfrohrsänger ist ein Langstreckenzieher, der erst Mitte bis Ende Mai aus seinen afrikanischen Überwinterungsgebieten zurückkehrt. «Damit ist er einer der spätesten Ankömmlinge in der hiesigen Vogelwelt, der nur rund drei Monate in seinem Brutgebiet verbringt», betont Beat Rüegger. Auf Grund der kurzen Aufenthaltsdauer findet in der Regel nur eine Jahresbrut statt, wobei beide Partner üblicherweise zwischen drei und sechs Eier ausbrüten.
Wie es schon sein Name sagt, ist der Sumpfrohrsänger ein typischer Vertreter feuchter Lebensräume. Er bewegt sich in einer dichten Vegetation aus Hochstauden, Schilf und Weidegebüsch, häufig in Böschungen von Gräben oder in Verlandungszonen von Gewässern und ernährt sich von Insekten, die er in der dichten Vegetation erbeutet. Brütende Sumpfrohrsänger bauen ihr Nest in senkrecht stehende Hochstauden mit vielen Querverzweigungen, gut getarnt durch ein dichtes Blattwerk.
In der Schweiz gilt der Sumpfrohrsänger als regelmässiger, aber spärlicher Brutvogel sowie als häufiger Durchzügler. Mit einem Bestand zwischen 3000 und 6000 Paaren (die Zahlen stammen aus der Brutvogelkartierung 2013–2016) wird der Sumpfrohrsänger heute als nicht gefährdete Vogelart eingestuft und ist entsprechend auch nicht auf der Roten Liste zu finden. Dennoch sei festzuhalten, betont BirdLife Schweiz in seiner Medienmitteilung, dass in der Schweiz ein Grossteil der ursprünglichen Lebensräume des Sumpfrohrsängers in den letzten 150 Jahren zerstört worden sei. Rund 90 Prozent aller Feuchtgebiete in der Schweiz seien in diesem Zeitraum entwässert worden. Insbesondere die eher trockenen Teile der Feuchtgebiete seien spätestens im Zweiten Weltkrieg oder bei nachfolgenden Meliorationen in Ackerland umgewandelt worden. Mit der Konsequenz, dass damit viele Brutgebiete des Sumpfrohrsängers auch im Landwirtschaftsland verschwanden.
Nach Rothrist und in die Region zurückgeholt
Er glaube zwar nicht, dass der Sumpfrohrsänger jemals vollständig aus der Region verschwunden sei, mutmasst Beat Rüegger. Sein Auftreten in der Region sei wohl nur noch sporadisch gewesen. «Aber nur dort, wo wir etwas für ihn getan haben, ist er auch als regelmässiger Brutvogel zurückgekehrt», hält der Rothrister Vogelkenner unmissverständlich fest. In Rothrist ist das einerseits im Rahmen der Güterregulierung mit dem Bahn-2000-Projekt, andererseits mit dem Kraftwerk-Neubau Ruppoldingen geschehen. Der Sumpfrohrsänger sei um die Jahrtausendwende als Brutvogel in die Buntbrachen und in die Flachwasserzone ins Gebiet Hungerzelg sowie ins Gebiet der Ruppoldinger Inseln, die unter Naturschutz stehen, zurückgekehrt. Bekannt sei auch, dass der Sumpfrohrsänger am Brittnauer Eichmattweiher – der 2010 im Rahmen des Projekts «Teichperlenkette» erbaute Karpfenweiher ist auch ein Vogelparadies – regelmässig als Brutvogel auftrete.
Mit dem Neubau des Kraftwerks Ruppoldingen seien übrigens auch die Lebensbedingungen für den «Zwillingsbruder» des Sumpfrohrsängers stark verbessert worden, weiss Rüegger. Mit dem Neubau sei in Rothrist der Bestand an Schilf vervielfacht worden. Ein Umstand, der dem Teichrohrsänger, welcher im Schilf lebt, stark entgegengekommen sei. «Wir hatten in Rothrist einst noch zwei, heute zählen wir sicher 30 Brutpaare des Teichrohrsängers», sagt Rüegger.
Eine Erfolgsgeschichte aus der Vogelwelt
Wieso aber wurde ausgerechnet der Sumpfrohrsänger zum Vogel des Jahres gekürt? Er habe mit den Verantwortlichen von BirdLife Schweiz noch nicht darüber gesprochen, sagt Rüegger. Er könne sich aber vorstellen, dass man einerseits einen Langstreckenzieher gewählt habe, weil deren Bestände allgemein stark rückläufig seien. Er denke da an Vogelarten wie Trauerschnäpper, Fitis, Waldlaubsänger oder Gartenrotschwanz.
Andererseits zeige gerade das Beispiel des Sumpfrohrsängers, dass man der Vogelwelt mit der Erarbeitung einer tragfähigen ökologischen Infrastruktur auch im Umfeld einer produzierenden Landwirtschaft Lebensräume schaffen und diese mit der entsprechenden Pflege auch langfristig erhalten könne. «Mit einer ökologischen Infrastruktur ist vieles möglich», betont Rüegger, «und der Sumpfrohrsänger hat in wenig störungsanfälligen Gebieten wie in einer Buntbrache mitten im Feld oder in der Flachwasserzone gut auf die Massnahmen angesprochen.» Durchaus eine Erfolgsgeschichte aus der Vogelwelt.