Wie Bundesrat Berset zum Womanizer wurde: Jessica Jurassica kommt mit ihrem Erotik-Roman aus dem Bundeshaus nach Lenzburg
Während der Lockdown-verordneten Stille im Land war es ausgerechnet ein Roman, der für Lärm und Radau sorgte. Auf keinen 30 Seiten gelang dem Büchlein, zunächst im Eigenverlag publiziert, das, was man der Literatur kaum noch zutrauen wollte: Zum Gesprächsthema werden, nicht nur in den Feuilletons, sondern auch im Boulevard-Blatt, am Küchentisch – und gezwungenermassen wohl sogar im Bundeshaus.
Denn darum geht es, genauer, um «Die verbotenste Frucht im Bundeshaus», Alain Berset. Zu dieser Zeit wurde der Innenminister neben Daniel Koch zum Publikumsliebling, es gab T-Shirts mit seinem Konterfei und Passagen aus seinen Appellen an die Bevölkerung wurden zum Ohrwurm-Hit «Bleiben sie zu Hause» geremixt. Die junge Autorin Jessica Jurassica erkannte in ihm das Potenzial, das in jedem Popstar steckt und schrieb eine «erotische Fan-Fiction», ganz im Geiste der kitschig-schwülstigen Schundromane, die es am Bahnhofskiosk zu kaufen gibt.
In dem kurzen Roman werden Lippen (und anderes) aufeinandergepresst, es wird gefesselt und geknebelt, während Knistern den Raum erfüllt. Auf expliziteste Weise geben sich der Bundesrat und die erfahrene Journalistin Melissa einander leidenschaftlich hin. «Schliesslich war ein gutes Verhältnis zwischen Presse und Bundesrat wichtig fürs Volk», heisst es im ersten Kapitel verheissungsvoll. Geschickt oder dreist, je nachdem, wie man es betrachtet, spielt Jessica Jurassica mit sämtlichen Klischees. Und für die Medien schrieben sich die Schlagzeilen fast von selbst: «Die Frau, die Alain Berset auszieht» hiess es da. Obwohl in diesem Roman ganz gemäss der am Montag vom Nationalrat empfohlenen Zustimmungslösung alles einvernehmlich geschieht und sich die Liebenden mit diplomatischer Höflichkeit begegnen, ist die Provokation geglückt. In der zweiten Auflage musste sie den Bundesrat in André Beret umbenennen.
Eine Sturmmaske für die Narrenfreiheit
Jessica Jurassica ist Musikerin, Spoken-Word-Performerin und Künstlerin. Auf Twitter und als freie Autorin schreibt sie für verschiedene Schweizer Medien essayistische und politische Texte über Kunst, Musik, Drogen, Sex und meist eher zwischen den Zeilen über Feminismus. Selbstbewusst unterwegs im Nachtleben gründete sie das Eurodance-Duo Capslock Superstar. 1993 im tiefsten Appenzellerland geboren, lebt sie seit 2013 in Bern. Ihre Identität schützt sie mit dem Pseudonym und einer Sturmmaske, ohne die sie nie auftritt.
Auch nicht im Literaturhaus in Lenzburg, wo sie kommende Woche nun zum ersten Mal aus «Die verbotenste Frucht im Bundeshaus» lesen wird. Die Lesung ist Teil der Reihe «Pornografie und Literatur», die im Oktober Kim de l’Horizon eröffnet hat. Der Ort für die Lesung überrascht – und passt trotzdem. Der Skandal-Roman beginnt nämlich mit einer Zugfahrt durch den «tristen Aargau», auf der Melissa auf dem Weg zu ihrer schicksalhaften Begegnung auf die graue Industrie blickt.