Ideen zur Entlastung der Spitäler: So viel würde den Kanton eine Gratis-Notfallnummer kosten
Gleich beide Kantonsspitäler meldeten über die Festtage neue Rekordzahlen für ihre Notfallstationen. Sowohl in Aarau, als auch in Baden zeigt sich dasselbe Problem: ein grosser Teil der Patientinnen und Patienten sind sogenannte Bagatellfälle. Um die Spitäler zu entlasten und Personen mit weniger gravierenden Gesundheitsproblemen vom Gang zur Notfallaufnahme abzuhalten, gibt es verschiedene Vorschläge aus der Politik.
Grünen-Grossrat und Hausarzt Severin Lüscher fordert eine Zutrittsbeschränkung über das Online-Tool Medical Guide oder eine medizinische Telefonberatung, SP-Nationalrätin Gabriela Suter will die kantonale Notfallnummer gratis machen und mehr Hausarztpraxen in Spitälern aufbauen, laut SVP-Nationalrat Thomas Burgherr sollen Patienten eine Gebühr für Praxis- und Arztbesuche zahlen und sein Parteikollege Andreas Glarner sieht eine Notfallpauschale als Lösung.
Notfallnummer während Coronapandemie phasenweise gratis
Bereits geprüft wird beim Kanton die Option einer kostenlosen Notfallnummer, wie Rahel Klarer, Sprecherin des Gesundheitsdepartements, auf Anfrage mitteilt. «In der Gesundheitspolitischen Gesamtplanung 2030 (GGpl) wird die kostenlose Notrufnummer in Erwägung gezogen.» Das Departement von Gesundheitsdirektor Gallati evaluiere diese Option aktuell im Zuge der Bearbeitung der Anhörungsresultate zur Gesundheitsstrategie.
Erfahrung mit dem Gratisbetrieb der Notfallnummer gibt es schon: Während der Covid-19-Pandemie waren Anrufe auf 0900 401 501 phasenweise gratis. Zur Entlastung der anderen nationalen und kantonalen Beratungsnummern war die Nummer zwischen 12. März und 31. Mai 2020 sowie vom 1. Januar bis 30. Juni 2021 kostenlos. «Die Kosten beliefen sich im Zeitabschnitt im Jahr 2020 auf 95’000 Franken; im Zeitabschnitt des Jahres 2021 war der Betrag einiges tiefer, da die Gratis-Notrufnummer weit weniger genutzt wurde», sagt Klarer.
Gratisbetrieb der Nummer würde rund 800’000 Franken pro Jahr kosten
Seit dem Jahr 2014 besteht zwischen dem Gesundheitsdepartement und dem Aargauer Ärzteverband AAV ein Vertrag über die Organisation des ambulanten Notfalldienstes im Kanton Aargau. Ebenfalls seit 2014 wird die jetzt bestehende, kostenpflichtige Notrufnummer 0900 401 501 vom Ärzteverband betrieben. An der medizinischen Notrufnummer beteiligt sich der Kanton jährlich mit 400’000 Franken.
«Damit die Notrufnummer für die Bürgerinnen und Bürger kostenlos angeboten werden könnte, wäre ungefähr eine Verdoppelung des Betrags notwendig», rechnet Klarer vor. Um die Forderung von SP-Nationalrätin Gabriela Suter zu erfüllen, würden für den Kanton also 800’000 Franken pro Jahr fällig. Das Gesundheitsdepartement evaluiert derzeit grundsätzlich, wie telefonische und digitale Notversorgungsangebote am besten mit den Bedürfnissen der Bevölkerung abgestimmt werden können.
Notfallnummern von Geschäftshandys aus nicht erreichbar
Wenn die Anrufe gratis wären, liesse sich auch eine Hürde aus der Welt schaffen, die bisher eine gewisse Bevölkerungsgruppe davon abhält, die Notfallnummer zu nutzen. Derzeit ist 0900 401 501 für Handykunden, deren Vertrag über ihren Arbeitgeber läuft, nicht erreichbar. Seit Ende Juni 2020 ist die Nutzung sogenannter Mehrwertdienste über geschäftliche Mobile-Anschlüsse gesperrt. Grund ist ein Bundesgerichtsurteil, das solche Dienste dem Geldwäschereigesetz unterstellt.
Ab einem Betrag von 5000 Franken pro Jahr werden diese Dienste auch für Nutzer von Privathandys gesperrt – nur wird niemand so oft auf die Notfallnummer anrufen, um diese Summe zu erreichen. Bei Handyverträgen, die über eine Firma laufen, kann die Limite für Mehrwertdienste jedoch rasch erreicht werden. Die Sperrung für solche Kunden gilt nicht nur für die kantonale Notfallnummer, sondern auch für die kostenpflichtige «Medgate Kids Line» für Eltern.
Medical Guide wurde bisher von 5500 Personen genutzt
Grünen-Grossrat und Hausarzt Severin Lüscher kritisierte, der Kanton tue zu wenig, um die Web-App «Medical Guide» bekannter zu machen. Wer die Online-Beratung mit diversen Fragen durcharbeitet, erhält am Ende eine Empfehlung, ob ein Gang zur Ärztin, das Aufsuchen der Notfallstation oder nur ein Medikamentenkauf in der Apotheke nötig ist.
Das Angebot wurde im Herbst 2020 lanciert, nach einem halben Jahr, also im Mai 2021, hatten rund 3000 Personen die kostenlose Onlineberatung genutzt. Bis heute sind es laut Sprecherin Klarer mehr als 5500 Anwenderinnen und Anwender – eine sehr geringe Zahl, wenn man sie mit den 350 Notfallpatienten vergleicht, die an einem einzigen Tag im Kantonsspital Baden registriert wurden.
Dennoch wehrt sich das Gesundheitsdepartement gegen die Kritik von Severin Lüscher: Der Aargauische Ärzteverband, die Apothekerinnen und Apotheker und auch einige Spitäler hätten mehrfach in ihrer Kommunikation auf den Medical Guide aufmerksam gemacht. Zudem seien Inserate geschaltet, Medienmitteilungen verschickt, Flyer gedruckt und Bannerwerbung auf Onlineportalen platziert worden.