Neujahrskonzert von Argovia Philharmonic: Ein Barbiere, eine Stradivari und Heinzelmännchen
«Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum», hatte Friedrich Nietzsche festgehalten. Fatal wäre zweifellos, würde ein Jahreswechsel mit einem Irrtum beginnen. Seit Jahrzehnten sind entsprechende Befürchtungen glücklicherweise obsolet: Wie es die Tradition will, wurde an seinem letzten Tag das 2022 von den Berliner Philharmonikern mit grossen italienischen Opernarien, Prokofjew und Tschaikowsky verabschiedet. Die Wiener Philharmoniker ihrerseits hiessen, vor einem über den Erdball verteilten Millionenpublikum, das 2023 an seinem ersten Tag mit einem bunten Melodienreigen aus dem reichen Repertoire der Strauss-Dynastie willkommen.
In Wettingen folgte am 2. Januar, dem «Bärzelistag», vor einem kleineren, aber nicht minder begeisterten regionalen Publikum, die Argovia Philharmonic mit einem fein abgestimmten vielseitigen Programm und einem grossartigen Solisten.
1995 als festlicher Einstieg ins 950-Jahr Jubiliäum der Gemeinde vermeintlich einmalig aufgeführt, ist das Wettinger Neujahrskonzert mitsamt einer kleinen Ansprache des jeweils frisch gebackenen Landammanns, längst zu einem festen Bestandteil im Aargauer Jahreskalender geworden.
Eine Stradivari als Herausforderung für den Solisten
Fulminant eingestimmt durch die Ouvertüre zu Gioacchino Rossinis Oper «Il barbiere di Sevilla», überbrachte Jean-Pierre Gallati die Grüsse und Neujahrswünsche der Regierung. Er streifte sodann die Geschichte der Argovia Philharmonic, «die 1962 als Lehrerorchester der Alten Kantonsschule Aargau gegründet worden war.»
Danach gaben Argovia Philharmonic – seit 1995 unter der engagierten Leitung von Marc Kisscózy – und als diesjähriger Solist der Zürcher Violinist David Nebel den Ton an. Der 26-Jährige, der in London lebt, aber bald nach Berlin zieht, spielt auf einer Geige von Antonio Stradivari, die ihm ein privater Sponsor zur Verfügung stellt.
«Zu erforschen, wo die Grenzen eines solchen Instruments liegen, verlangt einem Musiker sehr viel ab. Moderne Geigen sind etwas leichter zu spielen. Ich bin aber überzeugt, dass der Zuhörer das gewisse Etwas einer Stradivari im Unterbewusstsein wahrnimmt», verrät er in einem kurzen Gespräch vor dem Konzert.
Mit Polka und Walzer in den Neujahrs-Modus
David Nebel begeisterte mit seiner mitreissenden Interpretation des furiosen «Introduction und Rondo capriccioso» von Camille Saint-Saëns sowie des zündenden «Valse Scherzo» von Tschaikowsky. Nebels virtuoses Spiel ist ebenso geprägt von kraftvoller Leidenschaft, wie von sensibler Zartheit. Das Publikum bedachte den jungen, international gefragten Musiker mit langanhaltendem Applaus.
Diesbezüglich kamen auch die festlich-fröhlich gestimmten Argovia Philharmonic und Dirigent Marc Kissóczy nicht zu kurz. Mit französischem Charme interpretierten sie Émil Waldteufels Walzer, der zu Recht den Namen «Très Jolie» trägt. Ganz und gar in den Neujahrskonzert-Modus gerieten Orchester und Zuhörer jedoch bei den Polkas und Walzer von Josef und Johann Strauss. Rund 30 Jahre später als diese geboren, rundete Joseph Hellmesbergers den Wiener Reigen ab: Seine köstliche Komposition «Die Heinzelmännchen» heisst nicht nur so, nein, die Musik erweckt die kleinen Wichtel – trippel, trappel – förmlich zum Leben.