«Mit Sicherheit ein naturbedingtes Ereignis»
Am Mittwoch, 8. April 1981, krachte um 23.30 Uhr das Dach des Langhauses der Zofinger Stadtkirche mit «mächtigem Getöse» zu Boden, wie das ZT in seiner Ausgabe vom 10. April schrieb. «Feuerwehr, Polizei und weitere Sicherheitsorgane walteten jedoch besonnen und zielbewusst ihres Amtes und sorgten noch während der Nacht für eine mustergültige Absperrung.»
Am Donnerstagmorgen habe sich den Marktfahrern, dem Marktpublikum und der Bevölkerung ein «trauriges Bild» geboten. «Trotzdem darf es als eine glückliche Fügung betrachtet werden, dass die Katastrophe nicht während der Arbeitszeit geschah, denn dann hätte das Dutzend der Handwerker, welche gegenwärtig an der Arbeit sind, keine grossen Überlebenschancen gehabt.»
Restaurationsarbeiten als Auslöser?
Seit mehreren Jahren waren innen und aussen umfangreiche und aufwendige Restaurationsarbeiten an der Stadtkirche im Gange. Ob der Einsturz mit diesen Arbeiten zusammenhängen könnte, sei noch nicht geklärt, schrieb das ZT in der Freitagsnummer.
Der Einsturz des Daches des Langhauses und der Stuckdecke habe die frisch restaurierte romanische Bogenführung des Mittelschiffes zerstört. Unversehrt geblieben sei das nördliche Seitenschiff mit den drei Seitenkapellen. In diesem Bereich fanden zu jener Zeit Restaurationsarbeiten an den Sandsteinpfeilern der gotischen Bauepoche statt.
Die Vermutung, dass sich die Decke von der an den Kirchturm anschliessenden und noch gotische Mauerreste enthaltenden Westwand löste und den gesamten Dachstock mitriss, könne nicht bestätigt werden, schrieb das ZT am 10. April. Und da während der Restaurierungsarbeiten an den Tragelementen keine Veränderungen vorgenommen worden seien, falle es ausser Betracht, dass diese Arbeiten für den Einsturz verantwortlich sein könnten.
Vier Wochen später berichtete das ZT über die entstandenen Schäden, die man nun einigermassen überblicken könne: «Auf der Nordseite der Kirche und in den nördlichen Seitenkapellen sind die zum grossen Teil bereits restaurierten Pfeiler und die gotischen Spitzbögen praktisch unbeschädigt; nur das darüberliegende Dach hat etwas gelitten und muss später repariert werden. Gross sind hingegen die Zerstörungen auf der Südseite: dort sind die romanischen Bogenstellungen und die Wand des Hauptschiffes eingestürzt; völlig zerstört ist natürlich auch die Gipsdecke aus dem Jahre 1732.»
An der Kirchgemeindeversammlung vom 16. Juni waren die Mitglieder der reformierten Kirchgemeinde Zofingen gespannt auf eine Erklärung für den Einsturz des Daches. Rudolf Weber, Pfarrer und Präsident der Baukommission, musste die Anwesenden jedoch enttäuschen. Die Untersuchungen durch den wissenschaftlichen Dienst der Stadtpolizei Zürich seien zwar mittlerweile abgeschlossen, eine Auswertung der Daten sei jedoch noch im Gange und dürfte einige Zeit dauern.
Am 16. November erhielt das Bezirksamt Zofingen das Gutachten vom wissenschaftlichen Dienst der Stadtpolizei Zürich weitergeleitet. Das von der Kirchgemeinde beauftragte Anwaltsbüro erhielt Gelegenheit, Einblick in das Dokument zu nehmen. Auszüge daraus wurden an der Kirchgemeindeversammlung Mitte Dezember publik gemacht und im ZT vom 16. Dezember veröffentlicht: «Das Gutachten hält u. a. fest, dass ‹die Renovationsarbeiten mit grosser Sorgfalt und viel Fachwissen durchgeführt worden seien und mit Sicherheit menschliches Versagen oder ein Verstoss gegen die Regeln der Baukunst ausgeschlossen werden könne›.» Das vom Experten zusammengetragene Gutachten umfasst 17 Seiten und hält weiter fest: «Beim Einsturz des Kirchendaches von Zofingen handelt es sich mit Sicherheit um ein naturbedingtes Ereignis.» Der Einsturz des Kirchendaches könne unmöglich auf das Herunterfallen von Steinbrocken vom Dachgiebel beim Turm zurückgeführt werden, vielmehr ist zu vermuten, dass diese Steinbrocken beim Einsturz des Daches mitgerissen wurden.
Dieser Text stammt aus der Sonderbeilage «150 Jahre Zofinger Tagblatt» vom 1. Februar 2023, in der jeweils ein Ereignis aus jedem Jahrzehnt seit der ersten Ausgabe des ZT vertieft betrachtet wird.
Ein Glücksfall, dass niemand zu Schaden kam
Zum Jahresende 1981 war somit noch nicht klar, was den Einsturz verursacht hat. Im Verdacht standen Sanierungen aus dem Jahr 1935, die entscheidende Änderungen an der Tragkonstruktion vorgenommen hätten, ohne die Problematik dieser Änderungen zu erkennen. «Mit aller Deutlichkeit wird darauf hingewiesen, dass schon seit längerer Zeit, das heisst vor Beginn der neusten Renovationsarbeiten im Jahre 1979, eine dauernde Einsturzgefahr bestanden hat. Es darf daher von einem Glücksfall gesprochen werden, dass beim Einsturz der Kirche keine Menschen zu Schaden gekommen sind», zitierte das ZT das Anwaltsbüro am 16. Dezember.