Schüsse bei Zeugen Jehovas fordern acht Tote und mehrere Verletzte – Täter offenbar auch tot
Das Wichtigste in Kürze
In Hamburg sind am Donnerstagabend in einem Gebäude der Zeugen Jehovas Schüsse gefallen.
Ersten Erkenntnissen zufolge sind acht Personen ums Leben gekommen.
Ebenfalls tot dürfte der mutmassliche Täter sein. Davon geht die Polizei aus. Hinweise, dass der Täter flüchtig ist, gebe es nicht.
Die Polizei war mit einem Grossaufgebot an Spezialkräften vor Ort.
Bei Schüssen in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg sind nach aktuellem Stand acht Menschen tödlich verletzt worden. Unter den Toten sei «offenbar auch der mutmassliche Täter», wie die Polizei Hamburg am Freitagmorgen auf ihrer Internetseite mitteilte.
Ein dpa-Reporter vor Ort berichtete am Donnerstagabend von einem Grossaufgebot an Spezialkräften der Polizei. Demnach trugen Rettungskräfte Personen aus einem Gebäude der Zeugen Jehovas. Der Vorfall ereignete sich im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Die Hintergründe sind nicht bekannt.
Polizei mutmasst, dass Täter tot ist
Um 21.15 Uhr bekommt die Hamburger Polizei mehrere Anrufe aus dem Stadtteil Alsterdorf: Es seien Schüsse aus einem dreistöckigen Bürogebäude zu hören, in dem sich Zeugen Jehovas treffen. Eine Unterstützungseinheit für besondere Einsatzlagen ist zufällig in der Nähe und in wenigen Minuten am Tatort, wie Polizeisprecher Holger Vehren berichtet.
Die Beamten dringen in das Gebäude ein und finden mehrere Menschen mit Schussverletzungen. Dann hören sie aus dem Obergeschoss einen Schuss. In einem Raum liegt ein lebloser Mann. Die Polizei geht davon aus, dass er der Täter ist. Wie viele Menschen er verletzt und getötet hat, kann Vehren auch Stunden später nicht sagen.
Anwohnerin berichtet von mehreren Schussperioden
«Ich habe gegen zehn vor neun Uhr mehrfach Schüsse vernommen. Die klangen sehr metallisch», sagt Anwohnerin Lara Bauch. «Erst dachten wir, dass auf der Baustelle so spät noch Arbeiten sind. Es hat sich dann herausgestellt, dass das nicht der Fall ist.» Die 23-jährige Studentin wohnt mit ihrem Freund in einer Seitenstrasse gegenüber und hat aus ihrer Dachwohnung direkte Sicht auf den Tatort an der viel befahrenen Strasse Deelböge.
«Es waren ungefähr vier Schussperioden. In diesen Perioden fielen immer mehrere Schüsse, etwa im Abstand von 20 Sekunden bis einer Minute», berichtet Bauch. Von ihrem Fenster konnte sie eine Person sehen, die ganz hektisch vom Erdgeschoss ins erste Obergeschoss gelaufen sei. «Der Mann war dunkel gekleidet und schnell unterwegs», sagt Bauch. Ob er maskiert war, konnte sie nicht sehen.
Ihr Freund hat das Geschehen mit dem Handy gefilmt. Es ist zu sehen, wie ein Polizeitransporter mit Blaulicht vor dem Gebäude steht, während auf der Strasse noch Autos vorbeifahren. Schwer bewaffnete Beamte gehen zügig zum Eingang, öffnen die Tür. Sie stürmen die Treppe hoch ins Obergeschoss. Im mittleren Raum liegt wohl der mutmassliche Schütze, wie Polizeisprecher Vehren sagt. Die Polizei geht davon aus, dass er sich selbst getötet hat. Die Beamten hätten keinen Schuss abgegeben.
Tatortarbeit kann erst nach Mitternacht beginnen
Am späten Abend ist die Umgebung weiträumig abgesperrt. Behelmte und schwer bewaffnete Polizisten stehen an den Kreuzungen. Über das Handy kommt ein laut piepender Warnhinweis. «Amtliche Gefahrendurchsage der Behörde für Inneres – Polizei – Hamburg, Gross Borstel», heisst es. «Meiden Sie den Gefahrenbereich», werden die Empfänger aufgefordert. Der Tatort liegt an der Grenze zu Gross Borstel. Die Anwohner sollen sich nicht ins Freie begeben.
Noch mehrere Stunden nach der Tat knattert ein Polizeihubschrauber über dem Gebiet. Vehren gibt vorsichtig Entwarnung. Es gebe keine Hinweise auf einen flüchtigen Täter, sagt er mehrfach. Es sei allerdings möglich, dass die Hubschrauberbesatzung die Umgebung mit einer Wärmebildkamera absuche.
Vor dem Gebäude stehen zahlreiche Polizeifahrzeuge und Rettungswagen. Auch der Grossraumrettungswagen der Feuerwehr ist zu sehen. Die Verletzten seien aber bereits in Krankenhäuser gebracht worden, sagt Vehren. Die Ermittler der Mordkommission und der Staatsanwaltschaft können das Gebäude zunächst nicht betreten. Erst muss ein Entschärfer vom Landeskriminalamt die Räume nach möglicherweise gefährlichen Gegenständen durchsuchen, wie der Polizeisprecher erklärt.
Die eigentliche «Tatortarbeit» kann erst nach Mitternacht beginnen. Das heisst Spuren sichern. Auch liegen offenbar noch mehrere Tote im Gebäude. Beamte schirmen den Eingang mit grossen Tüchern ab, offenbar um das Geschehen vor den Blicken und Kameras der Pressevertreter auf der anderen Strassenseite abzuschirmen.
Anwohnerin: «Man rechnet ja nicht damit, dass am Donnerstagabend nebenan Leute erschossen werden»
Das schmucklose Gebäude liegt neben einem Malerbetrieb. Auf der anderen Seite hinter der Baustelle mit drei grossen Kränen befindet sich eine Tankstelle. Erst mit einigem Abstand in der Seitenstrasse gegenüber stehen moderne drei- bis vierstöckige Apartmentgebäude und gut gepflegte Altbauten in Klinkerbauweise.
Anwohnerin Bauch berichtet, dass sich die Zeugen Jehovas laut Aushang immer donnerstags gegen 19.00 Uhr zu einem Gottesdienst versammelten. Das Publikum sei dabei ganz gemischt – Familien, ältere und jüngere Leute. Die Augenzeugin kann das dramatische Geschehen noch gar nicht fassen. Sie hat gesehen, wie Polizisten Verletzte an Händen und Füssen rausgetragen haben. «Ich habe das immer noch nicht ganz realisiert. Also man rechnet ja am Donnerstagabend nicht damit, dass gegenüber Leute erschossen werden», sagt die 23-Jährige.
Bundeskanzler und Innenministerin bestürzt
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz hat die tödlichen Schüsse in einem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg als brutale Gewalttat bezeichnet. Diese Nachricht postete er auf Twitter:
Auch die deutsche Innenministerin Nancy Faeser hat sich nach Schüssen während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas in Hamburg «erschüttert» gezeigt. «Meine Gedanken sind in dieser schweren Stunde bei den Opfern und ihren Angehörigen, bei den Gemeindemitgliedern und auch bei den Einsatzkräften», sagte Faeser der Deutschen Presse-Agentur in der Nacht zum Freitag. (dpa)