Albträume, Atemaussetzer, Einschlaf- und Durchschlafstörungen: Viele Menschen kommen nicht zur Ruhe – was wirklich hilft
Sie wälzen sich nachts unruhig im Bett oder erwachen morgens viel zu früh, die Gedanken kreisend: Schlafprobleme sind weit verbreitet. Wenn eine Person an mindestens drei Tagen in der Woche nicht ein- oder durchschlafen kann und dieser Zustand mehr als einen Monat andauert, sprechen Ärztinnen und Ärzte von chronischer Insomnie.
Betroffene sind oftmals unkonzentriert oder leicht reizbar. Langfristig steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Doch schlechter Schlaf nagt nicht nur an der Gesundheit, sondern schadet auch der Wirtschaft. Weil Betroffene von chronischer Insomnie weniger produktiv arbeiten, gehen in der Schweiz jährlich 1,31 Prozent des Bruttoinlandprodukts verloren, schätzt eine neue Studie der Denkfabrik Rand Europe.
Die von der Basler Pharmafirma Idorsia finanzierte Metastudie wertete Daten von zahlreichen Einzelstudien aus insgesamt 16 Ländern aus. Die Produktivitätseinbussen wurden anhand bestehender Befragungsstudien hergeleitet. Probanden gaben dabei nicht nur an, wie oft sie wegen der Schlafstörungen bei der Arbeit fehlten, sondern auch wie sehr ihre Produktivität eingeschränkt war, wenn sie trotz Übermüdung arbeiteten.
Insgesamt beläuft sich der Produktivitätsverlust auf 44 bis 54 Arbeitstage pro Jahr, kommt die Studie zum Schluss. Armando Meier, Co-Präsident am Zentrum für Gesundheitsökonomie an der Unisanté in Lausanne, sagt, es sei schade, dass keine Daten zu Produktivitätseinbussen in der Schweiz in die Berechnungen einflossen. Allgemein gebe ës noch wenig gut gemachte Studien zu chronischer Insomnie. «Auch wenn die Studie die tatsächlichen Kosten nur grob abbildet, ist klar, dass den gesellschaftlichen Folgen von Schlafstörungen mehr Beachtung geschenkt werden sollte», sagt der Ökonom.
Die wichtigsten Fragen und Antworten zu gutem und gesundem Schlaf:
Wie viel Schlaf gilt als gesund?
Zwar gibt es tatsächlich echte Kurzschläfer und Langschläfer, denen es medizinisch gesehen an Nichts fehlt. Aber für die meisten Jugendlichen und Erwachsenen ist eine Schlafdauer von 7 bis 9 Stunden optimal. Das schaffen die meisten jedoch nicht.
Das war nicht immer so: Anfang des vergangenen Jahrhunderts haben die Menschen noch deutlich mehr geschlafen. Zwischen den Jahren 1900 und 2000 hat die mittlere Schlafdauer in den industrialisierten Ländern von durchschnittlich 9,5 Stunden auf weniger als 7 Stunden abgenommen. Noch heute ist in abgelegenen Gegenden zu beobachten, wie die Schlafdauer zurückgeht, wenn ein Dorf elektrifiziert wird.
Wie ein tschechisches Forschungsteam allerdings soeben in der Fachzeitschrift «Plos One» berichtet hat, ist die Schlafdauer zwar wichtig, aber noch wichtiger ist die Schlafqualität. Demnach haben Personen mit besserem Schlaf auch eine bessere Lebensqualität. Und dies unabhängig von Schlafdauer und -zeit.
Was bedeutet gute Schlafqualität?
«Was guter Schlaf ist, lässt sich objektiv kaum festlegen», sagt die Psychologin und Schlafforscherin Christine Blume vom Zentrum für Chronobiologie an der Universität Basel. Denn die im Schlaflabor ermittelten Werte wie Schlafdauer, der Anteil an Tiefschlaf und Wachliegen hängen nur in einem geringen Mass mit der selbst berichteten Schlafqualität zusammen. «Das eigene Gefühl ist daher enorm wichtig, wichtiger als Bewertungen aus Apps, die den Schlaf überwachen», sagt Blume.
Fühlt man sich trotz kurzer Nacht frisch und energiegeladen, gibt es also keinen Grund zur Sorge. Anders sieht es aus, wenn man trotz genug Schlaf tagsüber schläfrig ist, ausgeprägte Konzentrationsstörungen aufweist oder morgendliche Kopfschmerzen, starkes Schnarchen und Schwitzen sowie eine unregelmässige Atmung im Schlaf. Diese Symptome können auf eine Schlafstörung hindeuten und sollten von einem Schlafmediziner oder einer Schlafmedizinerin untersucht werden.
Welchen Einfluss hat die Zeitumstellung auf den Schlaf?
Nächsten Sonntag ist es wieder so weit: Mit der Zeitumstellung wird uns kurzfristig eine Stunde Schlaf geraubt. Obwohl die meisten die Sommerzeit der Winterzeit vorziehen, macht die Umstellung im Frühling mehr zu schaffen als diejenige im Herbst. Der biologische Rhythmus und damit die Einschlaf- und Aufwachzeit passen sich jedoch innerhalb weniger Tage an die neue Zeit an.
Zu den gesundheitlichen Auswirkungen des Schlafmangels infolge der Zeitumstellung gibt es ebenfalls Untersuchungen. So zeigte eine Studie, dass Herzinfarkte am Montag nach der Zeitumstellung im Frühling zunehmen, eine andere Beobachtung in Finnland ermittelte höhere Schlaganfallraten, und eine Studie ermittelte, dass die Risiken einer Fehlgeburt nach einer künstlichen Befruchtung steigen, wenn der Embryotransfer unmittelbar nach der Zeitumstellung im Frühling stattfindet. Auch das Risiko von Verkehrsunfällen steigt unmittelbar danach. Hingegen: «Die Umstellung im Herbst, bei der wir eine Stunde gewinnen, hat meist keine oder sogar positive Auswirkungen», sagt die Basler Forscherin Blume.
Welche Folgen hat chronischer Schlafmangel?
Ab und zu eine schlechte Nacht zu verbringen, ist kein Weltuntergang. Aber chronischer Schlafmangel hängt tatsächlich mit einer Vielzahl von Krankheiten zusammen. So gibt es klare Hinweise, dass Übergewicht, Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Depressionen und Demenz mit Schlafmangel in Verbindung stehen. Zudem tendiert man unter Schlafmangel zu unreflektierten Handlungen, das Unfallrisiko steigt und die Stimmung ist mies.
Ist Schlafentzug tödlich?
An Menschen lässt sich diese Frage kaum direkt untersuchen. Nicht nur aus ethischen Gründen, sondern auch weil der eigene Körper einen irgendwann dazu zwingt, sich dem Schlaf hinzugeben. Unweigerlich gleitet man in sogenannte dissoziierte Zustände, bei denen sich Wachheit und Schlaf kaum unterscheiden lassen. An Schlaflosigkeit kann man gemäss Expertinnen und Experten deshalb eigentlich nicht sterben.
Um aber zu beweisen, dass mit brachialer Gewalt herbeigeführter Schlafentzug tödlich wäre, führte der US-Schlafforscher Allan Rechtschaffen einmal Experimente an Ratten durch. Dabei weckte er die Tiere immer wieder, sobald sie im Begriff waren, einzuschlafen. Letztlich starben sie alle. Zum Zeitpunkt des Todes waren die Tiere stark geschwächt und hatten trotz erhöhter Nahrungsaufnahme viel Gewicht verloren.
Gibt es ein Rezept für guten Schlaf?
«Das Wichtigste ist, dem Schlaf entspannt zu begegnen. Ihn kontrollieren zu wollen und sich durch Regeln unter Druck zu setzen, geht meistens nach hinten los», sagt Blume. Dennoch gebe es einige Schrauben, an denen sich bei schlechter Schlafqualität drehen liesse. Dazu gehört, regelmässige Schlafenszeiten einzuhalten, zwei bis drei Stunden vor dem Zubettgehen die letzte grosse Mahlzeit zu essen und auf Alkohol zu verzichten. Auch Bewegung und Sport (auch abends) machen den Körper müde und helfen, besser ein- und durchzuschlafen.
Was vielen zudem nicht bewusst ist: Tageslicht ist sehr wichtig für eine gute Schlafqualität und trägt nachweislich dazu bei, dass man seltener unter Durchschlaf- und Einschlafproblemen leidet. Denn: «Tageslicht ist der wichtigste Taktgeber für unsere innere Uhr», sagt Blume. Verbringt man viel Zeit an der Sonne, ist der Körper hellwach – und am Abend dafür umso müder und reif fürs Bett.
Schaden Handys im Bett wirklich?
Bekanntlich stört auch das von Mobiltelefonen ausgehende Blaulicht beim Einschlafen. Denn dieses Lichtspektrum unterdrückt und verzögert die Ausschüttung des Dunkelhormons Melatonin. Im Bett noch Videos zu schauen, online zu sein oder Nachrichten zu verschicken, ist daher eher keine gute – und wenn, dann nur mit reduzierter Helligkeit und Display im Nachtschichtmodus.
Die Mobilfunkstrahlung und andere Strahlung wie jene von Schnurlostelefonen oder WLAN hingegen haben keinen negativen Einfluss auf den Schlaf, wie ein Team um den Umweltepidemiologen Martin Röösli vom Schweizerischen Tropen- und Public-Health-Institut herausgefunden hat.
Wie gut helfen Schlafmittel?
Gemäss einer repräsentativen Studie der Krankenkasse Sanitas greift hierzulande fast jeder Zehnte zu Medikamenten, um besser zu schlafen. Eine Studie unter Leitung der Universität Bern zeigte zudem, dass Hausärzte chronische Schlafprobleme bei 70 Prozent der Patienten mit Medikamenten behandeln. Nur einem Prozent wird eine psychotherapeutische Behandlung verschrieben. «Kurzfristig wirken Medikamente und Psychotherapien gleich gut», sagt die Psychologin Blume. Doch Schlafmittel dienten nur der Symptombekämpfung, die zugrunde liegenden Probleme würden nicht angegangen. Dies passiere nur bei Schlaftherapien, die somit langfristig wirksamer und nahezu frei von Nebenwirkungen seien und die Gefahr der Abhängigkeit eliminierten.
Das Problem: Die Wartelisten für Schlaftherapien sind lang, wie auch Blume bestätigt. Die Versorgungslücke liesse sich aber teils durch digitale Helfer entschärfen. «KSM SOMNET» ist ein Beispiel einer Online-Schlaftherapie, die von den Krankenkassen übernommen wird. «Nukkuaa» ist eine App, die von der Universität Salzburg entwickelt wurde und als Schlaf-Coach genutzt werden kann.