«Muss der Steuerzahler dafür aufkommen?» – SVP-Grossrätin stellt Fragen zum Justiz-Streit
Der eskalierte Streit zwischen Staatsanwaltschaft und Obergericht erreicht nun die Politik: Aus Sicht von Rechtsanwältin und SVP-Grossrätin Désirée Stutz taxiert das Obergericht das Verhalten der Staatsanwältin zu Recht als querulatorisch: «Einerseits wäre gegen die Ablehnung des Verschiebungsgesuchs ein ordentliches Rechtsmittel zur Verfügung gestanden. Andererseits hätte wohl eine Stellvertretung organisiert werden können, wenn man denn gewollt hätte.» Die SVP-Fraktionspräsidentin sieht darin einen «erneuten Reputationsschaden für die gesamte Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau».
Deshalb hat die Fricktalerin nun eine Interpellation an den Regierungsrat geschickt. Sie schreibt darin, es scheine, als sei die Oberstaatsanwaltschaft «in unnötiges Kräftemessen verfallen», anstatt ihre Aufsichtspflicht wahrzunehmen.
Stutz will vom Regierungsrat nun wissen, ob die Leiterin der betreffenden Staatsanwaltschaft Lenzburg Aarau – Barbara Loppacher – über die sich anbahnende Terminkollision informiert gewesen war. Ausserdem, welche Weisung sie erteilt habe und ob überhaupt Anstrengungen unternommen worden waren, um eine Teilnahme der Staatsanwaltschaft an der Verhandlung vom 9. Juni sicherzustellen. Entweder durch eine Vertretung für den Pikettdienst oder dann für die Verhandlung.
«Wird das unentschuldigte Fernbleiben der Staatsanwältin von einer Verhandlung vor dem Obergericht personalrechtliche Konsequenzen haben?», fragt die Grossrätin weiter. Und dieselbe Frage betrifft eine im anonymen Urteil nicht namentlich genannte Person der Oberstaatsanwaltschaft, «die ein nicht rechtskonformes Verhalten einer Staatsanwältin unterstützt, statt die Organisation vor Schaden zu bewahren und rechtskonformes Handeln sicherzustellen». Konkret hatte die Oberstaatsanwaltschaft dem Obergericht in einem «befremdend anmutenden» Mail mitgeteilt, «dass die Staatsanwaltschaft Lenzburg-Aarau in Kenntnis der gesetzlichen Folgen der Verhandlung fernbleiben werde».
Da aus dem Urteil des Obergerichts klar hervorgeht, dass Departementsvorsteher Dieter Egli das Mail auch erhalten haben soll, fragt Désirée Stutz, ob und wie Egli darauf reagiert habe, um «eine mögliche Eskalation zu verhindern». Und falls keine Massnahmen ergriffen worden seien: «Heisst der Vorsteher des DVI das Vorgehen der Staatsanwaltschaft damit gut?»
In einer Reihe weiterer Fragen will die Grossrätin zudem wissen, wer bei einer rechtskräftigen Verurteilung die Ordnungsbusse bezahle («Wie wird sichergestellt, dass nicht der Steuerzahler dafür aufkommen muss?»), ob es weitere solche Fälle gebe und welche Folgen das Nichterscheinen der Staatsanwaltschaft auf den Ausgang des Gerichtsverfahrens hatte: «Hat die zuständige Staatsanwältin dem Beschuldigten durch ihr unentschuldigtes Fernbleiben von der Verhandlung allenfalls einen Vorteil verschafft und liegt damit allenfalls strafrechtlich relevantes Verhalten (Begünstigung) vor?»
Beschuldigter hat von Nichterscheinen profitiert
Wozu der Beschuldigte vom Obergericht verurteilt wurde, lässt sich im kürzlich publizierten Urteil nachlesen. Der Sri Lanker hatte den Sex mit einer Minderjährigen im Rahmen einer «Freundschaft-Plus»-Beziehung zwar nicht bestritten (er war 19, sie 14), sich aber gegen das vom Bezirksgericht Lenzburg verhängte lebenslange Tätigkeitsverbot mit Minderjährigen gewehrt. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrer Anschlussberufung eine bedingte Freiheitsstrafe von 8 Monaten anstelle der 90 Tagessätze Geldstrafe des Bezirksgerichts gefordert – und den Landesverweis von fünf Jahren, auf den die Vorinstanz noch verzichtet hatte.
Das Obergericht prüfte den Fall. Und hätte dem Sri Lanker gerne 120 Tagessätze auferlegt. Weil die Staatsanwältin aber nicht erschienen war und die Anschlussberufung dahinfiel, war das Gericht ans Verschlechterungsverbot gebunden. Immerhin war das Obergericht der Ansicht, dass es kein Tätigkeitsverbot mit Minderjährigen braucht.