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Wegen des Wolfs: Immer mehr Schafhalter in den Bergen geben auf

Seit die Schafherden vor dem Wolf geschützt werden müssen, geht die Zahl der Herden zurück: Immer mehr Besitzer scheuen den Aufwand. Eine Ausnahme sind die Saaser Mutten.

Idyllischer könnte der Anblick nicht sein. Hunderte von Schafen warten in einem weitgesteckten Nachtpferch auf den Weidegang. Das Glocken- und Schellengeläut vermischt sich mit dem Blöken der Tiere. 900 Meter über dem Talboden von Saas-Grund im Wallis kommt Bewegung auf. Schafhirt Gheorghe Musina aus Rumänien öffnet den Zaun. Ein langer Alptag steht ihm und den Saaser Mutten auf dem Grundberg bevor. Die unbehornten Fleischschafe mit den ausgeprägten Ramsnasen und den grossen Hängeohren prägen seit Jahrhunderten die lokale Alpwirtschaft. Sie sind robust. Schneefälle mitten im Sommer machen den Tieren nichts aus.

Pascal Burgener (links) und Freddy Anthamatten (rechts). 
Bild: René Fuchs

Pascal Burgener aus Saas-Balen verfolgt auf einem Felsblock den Weidegang seiner 22 Tiere. Mit 32 Jahren ist der gelernte Schlosser in seinem Dorf weitaus der jüngste Züchter. Saaser Mutten zu halten, ist für ihn mehr als eine Familientradition. «Die Tiere geben einem viel zurück», hält er fest. «Wegen des Geldes müsste man keine Schafe halten.» Sein Schäferkollege Freddy Anthamatten aus Saas-Almagell nickt nebenan. Der Gedanke, altersbedingt damit aufhören zu müssen, beschäftigt den Siebzigjährigen. Die beiden Söhne sind beruflich stark engagiert. Einen Nachfolger hat er noch nicht gefunden. «Vielleicht verschwindet die lieb gewonnene Tradition wie die Gletscher», sagt er und blickt auf den gegenüberliegenden Bergkranz der Mischabelkette.

Nach dem Schafraub stieg die Zahl der Züchter

Wir sind hier wegen guter und schlechter Neuigkeiten zugleich. Glück im Unglück: 2014 wurden oberhalb des Mattmark-Stausees 103 Saaser Mutten gestohlen, das war rund ein Viertel der gesamten gefährdeten Schafrasse. Die mutmasslichen Täter wurden von der italienischen Justiz mangels Beweisen freigesprochen. Doch dank dem immensen Medienecho wurde die seltenste Schweizer Schafsrasse über Nacht landesweit bekannt. Philippe Ammann, stv. Geschäftsführer von ProSpecieRara sagt: «Eine grosse Nachfrage nach Zuchttieren entstand. Noch immer ist sie grösser als das Angebot.» Im letzten Jahrzehnt stieg der Gesamtbestand der Saaser Mutten von 400 auf gut 950 Tiere. Die Zahl der Züchterinnen und Züchter nahm schweizweit von 30 auf heute 65 zu.

Ronald Anthamatten aus Saas-Almagell ist der Alpverantwortliche der IG Schafalpen Saastal.
Bild: René Fuchs

Doch das ist ein Einzelfall. Im Saastal sieht es anders aus, hier sind rund zwei Drittel der 20 Schafhalter im Pensionsalter, und Nachfolger zu finden, ist schwierig. Rund 440 Saaser Mutten verbringen den Alpsommer dort. «Wir Züchter sind zusammengerückt, um die Schafe besser vor dem Wolf zu schützen», sagt Ronald Anthamatten, Alpverantwortlicher der IG Schafalpen Saastal. Mit 120 Saaser Mutten hält er weitaus am meisten Langohren im Tal. Der Aufwand für den Herdenschutz sei enorm. Eine mobile Hirtenhütte wird von der Air Zermatt von Alp zu Alp geflogen, und ein pflichtbewusster Hirt wurde angestellt. Weiter mussten Zaunmaterial, Tiertracker, Wärmebildgerät und Drohne für das Weidegebiet angeschafft werden. Wirkungsvoll erhofft man sich den Einsatz der beiden ausgebildeten Maremmen-Abruzzen-Schäferhunde. Federführend dabei ist die vom Bund mandatierte landwirtschaftliche Beratungszentrale Agridea. In diesem Jahr hat der Bund schweizweit zusätzliche Finanzmittel von 4 Mio. Franken für die Verstärkung des Herdenschutzes gesprochen. Im Wallis sind es insgesamt 2,78 Mio. Fr., wovon 1,13 Mio. Fr. vom Kanton. Trotz der Subventionen sind die finanziellen Aufwendungen für die Züchter gross.

Zusatzarbeit wegen des Wolfs: Schafhirt Gheorghe Musina öffnet den Nachtpferch.
Bild: René Fuchs

Rund 50 Wölfe treiben sich durch das Wallis

Letztes Jahr wurden im Wallis mittels DNA-Analyse 51 Wölfe ermittelt. 415 Nutztiere wurden gerissen. Schweizweit waren es um die 250 Wölfe in 26 Rudeln und 1500 Risse. Noch tauchen selten Wölfe im Saastal auf, doch Ende Juni wurden unweit bei Visperterminen 21 Ziegen in einer Nacht gerissen.

Letzte Woche wurden tagsüber zwei Saaser Mutten bei Wolfsangriffen auf dem Grundberg oberhalb von Saas-Grund getötet.
zvg

Nach und nach verteilen sich die Schafe im weitläufigen Grundberg. Saaser Mutten bilden keine kompakte Herde. Allzeit den Überblick zu bewahren, ist für Schäfer Musina unmöglich. «Wir bräuchten einen zweiten Hirten. Doch wo lässt sich einer finden, und wer übernimmt die zusätzlichen Kosten?», fragt sich Ronald Anthamatten.

Das Wallis zählt 157 bewirtschaftete Alpen. Nur etwas mehr als die Hälfte ist schützbar. Das bereitet dem Oberwalliser Schwarznasenzuchtverband Sorgen. Die 40 Schafzuchtgenossenschaften zählen 870 Mitglieder. Seit der Jahrtausendwende hat der Bestand der Schwarznasenschafe von 14’061 auf 10’036 abgenommen. «Mittlerweile muss ein enormer Mehraufwand für die Schafhaltung betrieben werden», hält deren Präsident, Rolf Kalbermatten aus Törbel, fest. «Die Alpsömmerung treibt viele Schäfer mit den aufgezwungenen zeitintensiven Herdenschutzmassnahmen an ihre Grenzen.»

Das Interesse der Jungen nimmt ab

Auch sei die emotionale Belastung der Schafhalter und ihrer Familien nach Wolfsrissen nicht zu unterschätzen. «Das Interesse an der Schafhaltung nimmt unter diesen Voraussetzungen nicht zu.» Der wichtigste Schritt sei die Regulierung der Grossraubtiere auf ein Mass, das sich mit der dicht besiedelten Schweiz einerseits und der vielfältigen Landwirtschaft andererseits verträgt. «Ansonsten wird es mit der Schafzucht sehr schwierig».

14. Mai 2023, Wolfsichtung Hoferälpi Saas-Balen mittels Fotofalle. 
Bild: zvg

In den letzten 22 Jahren ist der Schafbestand schweizweit um knapp 16 Prozent auf 356’150 gesunken. Es gibt mit 7969 rund einen Drittel weniger Schafhalter. «Der Strukturwandel in der Landwirtschaft spielt dabei ebenfalls eine wichtige Rolle», sagt Christian Aeschlimann, Geschäftsführer des Schweizerischen Schafzuchtverbandes. «Doch in den letzten fünf Jahren nahm das Problem mit den Grossraubtieren in den Berggebieten massiv zu.» Zudem räumten oft Gänsegeier tote Tiere schnell weg. Dadurch fehle der Nachweis für eine finanzielle Entschädigung. «Immer mehr Schafhalter geben deshalb auf.»