Ihre Bilder sind Augenöffner: Mit der Bostitch-Pistole porträtiert Sasha Huber Menschen, die wir kennen müssten
Ausstellungen wachsen meist im Verborgenen. Museumsdirektorinnen und Kuratoren stecken die Köpfe zusammen, verhandeln über Leihgaben und die stimmigste Präsentation. Doch wenn die Türen aufgehen und das Publikum sich um die Werke versammelt, scheint im besten Fall alles, wie selbstverständlich da gewesen.
Für einmal ist dies anders. Mitten in der Aarauer Altstadt im kleinen Kunstraum Eck durfte das Aargauer Kunsthaus ein Atelier eröffnen. Bezogen hat es die Künstlerin Sasha Huber. Während zwei Wochen konnten ihr Passantinnen und Passanten dabei zusehen, wie sie an zwei Bildern für die kommende Ausstellung «Stranger in the Village» arbeitete. Die Gruppenschau wird das Haus im September nach der sanierungsbedingten Schliessung eröffnen.
Wenn das Werkzeug zur Waffe wird
Wenn Sasha Huber arbeitet, ist es laut. Ihr Werkzeug ist eine Bostitch-Pistole, Klammer für Klammer setzt sie die Porträts zusammen. Die Serie, an der sie arbeitet, heisst «The Firsts» – «Die Ersten». Gemeint sind Menschen aus der afrikanischen Diaspora, die die ersten sind, mit dem was sie tun: Die ersten, die im 18. und 19. Jahrhundert in Europa ankamen, die ersten an einem Ort oder auch in einem Beruf. So porträtiert Huber aktuell Angélique Beldner, die seit 2015 die erste (und bislang auch einzige) Schwarze Tagesschau-Sprecherin ist. Das zweite Porträt gilt dem Schriftsteller Vincent O. Carter. 1953 zog er in die Schweiz und schildert seinem «Bernbuch» sein Leben als «einziger amerikanische Schwarze in eine Stadt von hunderttausend Einwohnern». Eine Woche dauert es etwa, bis sich die einzelnen Bostitch-Klammern zu einem Gesicht zusammensetzen.
Die Künstlerin erzählt: «Als ich zum ersten Mal mit dem Bostitch gearbeitet habe, war mir die Symbolik dieses Werkzeugs sofort bewusst. Das Gewicht dieser Luftdruckpistole wiegt schwer, man muss Augen und Ohren schützen – es ist eigentlich eine Waffe.» Zum ersten Mal in dieser Technik hat Huber 2004 gearbeitet, sie befasste sich damals mit der Geschichte ihrer Haitianischen Familie. Sie porträtierte Machthaber und Diktatoren: «Jeder Schuss war eine Verteidigung ihrer Opfer» sagt Sasha Huber. «Aber irgendwann wollte ich meiner Energie nicht mehr für diese imposanten Porträts von Menschen aufwenden, die derart viel Schaden angerichtet haben.» Sie habe dann die Perspektive verändert, zeigte fortan Menschen, die von der Geschichte zu lange übersehen wurden: «Aus dem Schiessen wurde damit ein Zusammennähen kolonialer Wunden.»
Diese Ausstellung setzt ein Zeichen
Diese «genähten» Porträts sind ein Auslöser für die kommende Gruppenausstellung im Aargauer Kunsthaus, erzählt Kuratorin Céline Eidenbenz. Genau genommen ein ganz bestimmtes: Zwei Jahre bevor Vincent O. Carter nach Bern zog, richtete der international bedeutende Autor James Baldwin in Leukerbad seine Schreibstube ein, um an seinem ersten Roman zu arbeiten. Seine Erfahrungen von Alltagsrassismus verarbeitete er in dem Essay «Stranger in the Village», welcher der Ausstellung den Titel leiht. In Leukerbad erinnert ein Porträt, das Sasha Huber an das temporäre Zuhause von Baldwin getackert hat, an den Schriftsteller.
Darüber hinaus sind Baldwins Worte bis heute Inspiration für viele Kunstschaffende. Die Ausstellung zeigt Künstlerinnen und Künstler, die Rassismus und Diskriminierungserfahrungen in ihrem Schaffen adressieren. Sasha Huber: «Eine Ausstellung wie diese ist ein Zeichen dafür, dass man die Augen öffnet, dass man nicht länger wegschaut.» Hinschauen soll – und will man, besonders nach diesem ersten Einblick.