Ein Versöhner, kein Spalter: Thomas Gottschalk verlässt die Bühne
Meine erste Erinnerung an «Wetten, dass …», es muss in den frühen Neunziger-Jahren gewesen sein und damit in der Anfangsphase meiner Teenager-Zeit, gehört wohl nicht zu jenen Momenten in der Geschichte der Samstagabendshow, die ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingingen: Er habe da einen Gast eingeladen, der von ihm, Gottschalk, noch nie gehört habe, sagte Thomas Gottschalk.
Das Stadthallenpublikum, ich weiss nicht mehr, ob es in Düsseldorf, Graz oder Basel war, muss einigermassen fassungslos gewesen sein, und ich, der Bub vor dem Fernsehgerät, starrte den älteren Herrn, der da die Showtreppe herunterkam, vermutlich an wie den schrägsten aller Vögel: Es handelte sich um den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der mir damals gänzlich unbekannt war.
Dass da die beiden grössten Entertainer der Bundesrepublik zusammensassen, realisierte ich erst einige Jahre später, als mir Reich-Ranickis «Literarisches Quartett» längst wichtiger geworden war als Gottschalks Show. Der sogenannte Literaturpapst, so meine ich mich zu erinnern, liess eine latente Ungeduld durchschimmern, absolvierte seinen Auftritt jedoch insgesamt mit stoischer Gelassenheit: Er schien zwar nicht so recht geahnt zu haben, in welchen Zirkus er sich hineinbegab, doch wer das Warschauer Ghetto überlebt hatte, dem konnte auch das Geplapper der Stars und Starlets auf Gottschalks Couch nichts mehr anhaben.
Gottschalk brachte alle zusammen: auf der einen Seite der Mattscheibe Boris Becker und Helmut Kohl, Michael Jackson und Marcel Reich-Ranicki, auf der anderen Zuschauer jeglichen Alters, Einkommens und Bildungsgrads. Man könnte ihn als Spassmacher einer nivellierten Mittelstandsgesellschaft abtun, doch war das so schlecht?
Das Deutschland, in dem Gottschalk seine beste Zeit hatte, war ein Land, das erstmals in seiner Geschichte als moderner Nationalstaat nicht nur mit seinen Nachbarn, sondern auch mit sich selbst Frieden geschlossen hatte: Man wählte SPD oder CDU, kaufte bei Kaiser’s oder Tengelmann ein und befand sich in halbwegs aufgeräumter Laune, ohne deshalb gleich übermütig zu werden. Existenzielle Not kannten viele nur noch aus den Erzählungen ihrer Eltern oder Grosseltern.
Wie fragil dieser Friede war, wissen wir heute. Dass Gottschalk nun seinen endgültigen Abschied angekündigt hat, ist konsequent: Am 25. November, einen Tag vor Totensonntag, will er zum 154. und letzten Mal als Gastgeber bei «Wetten, dass …» auftreten. Damit überlässt er das Feld jüngeren Entertainern, die besser zum sauertöpfischen Deutschland von heute passen, etwa Jan Böhmermann, der politischen Aktivismus mit Satire verwechselt oder Dieter Nuhr, der mittlerweile eher durch Klagen über Wokeness und Gendersprache auffällt als durch seinen Humor.
Während Gottschalk Gegensätze versöhnte, polarisieren seine Nachfolger. Unvorstellbar, dass der Süsswarenhersteller Haribo Böhmermann oder Nuhr als Werbeträger anheuern würde, und wenn doch, würde die halbe Nation mit grimmiger Miene zum Gummibärchen-Boykott schreiten.