Das Wallis verspielt den Vorsprung, Bern ist auf der Überholspur: Das Wettrennen der Kantone um alpine Solarparks
Der Schub kam aus dem Oberwallis, von Peter Bodenmann, Hotelier in Brig und ehemaliger SP-Präsident: Zur Bewältigung der Energiekrise brauche es grosse alpine Solaranlagen, wie sie in Gondo und Grengiols geplant seien, forderte er. Als das Bundesparlament im August 2022 den Solarexpress auf die Schiene brachte, jubelte er: «Jetzt kommt der Goldrausch!»
Doch jetzt, fast auf den Tag ein Jahr später, lässt dieser Goldrausch im Wallis noch immer auf sich warten. Zwar sind auch hier über ein Dutzend Projekte in Vorbereitung. Doch das einst riesige Vorzeigeprojekt von Grengiols ist geschmolzen wie Schnee an der Sonne: Es fehlt an Infrastruktur, die Leitungen für den Solarstrom sind knapp. Und zu allem Ungemach stellt sich in einer Woche die Frage, ob das Wallis ganz aus dem Solarexpress aussteigt – und auf den Bummler umsteigt.
Das Stimmvolk stimmt am 10. September über das Solardekret ab, mit dem das kantonale Parlament den Bau der alpinen Solarparks beschleunigen wollte. Doch Pro Natura und die Grünen haben das Referendum ergriffen. Ihr Slogan: «Solarpanels auf die Dächer, nicht in die Natur.» Die Wortwahl zeigt: Obwohl es in der Sache bloss um die im Dekret geregelten Verfahrensfragen geht, handelt es sich um eine Grundsatzabstimmung – für oder gegen alpine Photovoltaik.
Beide Seiten setzen in der Kampagne Zehntausende Franken ein. «Es wird knapp», schreibt der «Walliser Bote». Auch, weil die SVP Unterwallis die Nein-Kampagne unterstützt. Sie sagt sinngemäss: Weil die Städter im Mittelland keine AKW wollen, werden die Berge mit Solarpanels zugestellt.
Stimmt das Wallis Nein, dürften die Bewilligungsverfahren mehr Zeit in Anspruch nehmen als der Solarexpress erlaubt: Bis Ende 2025 müssen mindestens 10 Prozent der riesigen Anlagen am Netz sein, wollen sie von den Ausnahmen und grosszügigen Subventionen profitieren, die das Bundesparlament beschlossen hat.
Die Berner stehen auf dem Aebi-Transporter und loben sich selbst
Derweil herrscht ennet des Lötschbergs Aufbruchstimmung. «Wir Berner haben den Ruf, langsam zu sein», sagt Regierungsrat Christoph Ammann (SP) am Donnerstagnachmittag: «Ich kann Ihnen versichern, Bern ist beim Solarexpress der schnellste Kanton.» Der Energiedirektor steht bei seiner Ansprache auf einem Aebi-Transporter am Hornberg, Gemeinde Saanen, 1800 Meter über Meer. Hinter ihm ragen Solarpanels in die Höhe, vor ihm steht die versammelte Solar-Lobby des Kantons.
Anlass der Versammlung ist die Einweihung einer Pilotanlage des Projekts SolSarine. Jürg Grossen, Präsident von Swissolar und der GLP Schweiz, erklärt: «Das ist ein historischer Tag.» Sein Nationalratskollege aus Gstaad, Erich von Siebenthal (SVP), sagt an die Adresse der Bergbauern, dass man den Bau wagen dürfe. Das Vieh kann auch in Zukunft auf die Weiden – angenehm beschattet von den Solarpanels. Und Regierungsrat Ammann kündet am Ende seiner Rede an, Bern werde bis Ende 2025 «sechs bis neun alpine Photovoltaikanlagen am Netz haben». Optimismus pur.
Blockade im Wallis, Aufbruch in Bern: Was hat Ammann richtig gemacht – und was ist im Wallis schiefgelaufen?
In Bern haben die zuständigen Ämter selber eine Liste ausgearbeitet mit geeigneten Standorten für alpine Solarparks. Schutzgebiete werden geschont, die Anlagen sollen möglichst in touristisch genutzte, mit Strassen erschlossene Gebiete kommen. Und sie werden dort gebaut, wo die Stromleitungen schon genug Kapazitäten haben. Denn ein Ausbau der Leitungen wäre bis Ende 2025 gar nicht möglich.
Vor allem aber hat der Kanton Bern alle Interessengruppen am runden Tisch zusammengebracht: Die Initianten der zunächst über 30 Projekte, dazu Fachstellen – und die Umweltverbände. Kurt Eichenberger begleitet den Prozess im Auftrag des WWF. «Natürlich hätten auch wir die Panels lieber auf den Dächern als in der Landschaft», sagt er. Doch in Bern sei es für die Umweltverbände möglich mitzureden, bevor etwas grundsätzlich schiefläuft. So habe der WWF wie der Kanton selber eine Liste möglicher Standorte ausgearbeitet – «und es gibt gewisse Überschneidungen».
Dass aber neun grosse Anlagen im Kanton Bern bis 2025 stehen, wie vom SP-Regierungsrat erhofft, bezweifelt der WWF-Vertreter. Man habe sich trotz rundem Tisch vorbehalten, nötigenfalls Einsprachen zu erheben. «Aber gegen ein halbes Dutzend Projekte dürften aufgrund unserer ersten Beurteilung realisierbar sein», sagt Eichenberger. «Entscheidend ist die Wahl des Standorts», erklärt er, «und es gibt vorbelastete Gebiete, die wir als geeignet ansehen. Abschliessend beurteilen können wir das, wenn die Umweltverträglichkeitsberichte vorliegen.»
Das partizipative Vorgehen in Bern wurde im Wallis wahrgenommen. Brigitte Wolf, Kopräsidentin der Grünen im Wallis, hat mehrfach darauf hingewiesen. «Bei uns im Wallis geht niemand auf die Umweltverbände zu», sagt die Nationalratskandidatin, «mir ist kein Projekt bekannt, bei dem eine Schutzorganisation einbezogen worden ist». Es gebe im Dekret keine ökologischen Kriterien für den Bau der Anlagen: «Dass der Staatsrat ein Projekt aus Rücksicht auf die Umwelt auch ablehnen könnte, ist nicht vorgesehen.» Sage das Volk Nein zum Dekret, kehre der Kanton zurück zum normalen Bewilligungsverfahren. Das sei keine Absage an alpine Solarparks: «Am Nufenen hat es Windturbinen, Leitungen und Strassen, hier würde ich einen Solarpark nicht ausschliessen», sagt Wolf, «wir hätten dann dort eine Energielandschaft.»
In Graubünden haben sechs Gemeinden schon Ja gesagt
Im dritten grossen Bergkanton herrscht weder Walliser Getümmel noch Berner Selbstzufriedenheit. Graubünden plant die Solarparks nach seinen eigenen Regeln. Hier sind zunächst die Standortgemeinden am Zug. Bereits haben fünf Kommunen Ja gesagt. «Wir kommen planmässig vorwärts», sagt Richard Atzmüller, Leiter des Amts für Raumentwicklung des Kantons.
In Tujetsch, Disentis, Samedan, Laax und Poschiavo steht das Volk hinter den Solarplänen. Mitunter fallen die Entscheide knapp, wie vor wenigen Tagen in Poschiavo: Gegen das Solarprojekt am Berninapass mobilisierten Naturschützer. Sie kritisierten, die Anlage direkt neben der Bahnlinie würde das Unesco-geschützte Welterbe beschädigen. Trotzdem sagten zuletzt 53 Prozent Ja zum Bernina-Projekt.
Doch sobald die Baugesuche eingereicht sind, haben die Umweltverbände die nächste Gelegenheit, sich einzubringen. Und zuletzt bleibt ihnen der Gang vor die Gerichte, wie überall in der Schweiz. Doch Stand heute sei die Akzeptanz der alpinen Photovoltaik vergleichsweise gross, sagt Atzmüller: «Ich stelle keinen Aufschrei fest, wie wir das hatten, als wir den Richtplan für die Windkraft veröffentlichten.»