Alles für das Herz am Kantonsspital Aarau
Herr Prof. Haegeli, was zeichnet die Kardiologie am KSA aus?
Laurent Haegeli: Wir sind das einzige medizinische Zentrum im Raum Mittelland, das eine umfassende Herzversorgung aus einer Hand bietet, einschliesslich Notfallversorgung rund um die Uhr. Seit Anfang dieses Jahres haben wir ein speziell strukturiertes Programm für Patientinnen und Patienten mit Herzinsuffizienz (Herzschwäche) etabliert. Viele Betroffene haben eine eingeschränkte Herzfunktion mit Lungenstauung, Atemnot etc. Dabei arbeiten wir interdisziplinär zusammen mit anderen Fachbereichen des KSA, etwa der Neurologie.
Inwieweit hängen Herz und Hirn zusammen?
LH: Patientinnen und Patienten mit Herzproblemen sind möglicherweise auch gefährdet, einen Schlaganfall zu erleiden, und umgekehrt. Eine herausragende Stärke unseres Spitals liegt darin, dass wir alle erforderlichen Fachpersonen direkt vor Ort haben. Interdisziplinär besprechen und planen wir die optimale Diagnostik und Behandlung für jeden Betroffenen individuell. Im Notfall sind wir rund um die Uhr einsatzbereit. Auch die Intensivmedizin und Innere Medizin sind vor Ort.
Wie viele Patientinnen und Patienten werden in der Kardiologie behandelt? Und was sind typische Eingriffe?
LH: Jedes Jahr behandeln wir etwa 16 000 ambulante und 2000 stationäre Personen – Tendenz steigend. Zu den häufigsten Eingriffen gehören das Implantieren von Defibrillatoren und anderen spezialisierten Herzschrittmachern. Bei Patientinnen und Patienten mit Rhythmusstörungen führen wir auch Katheterablationen über die Leiste durch. Hierbei wird gezielt Herzgewebe mithilfe eines Herzkatheters mit Strom verödet. Es gibt immer mehr zu behandelnde Personen, weil die Bevölkerung älter und die Medizin besser wird. Die Menschen überleben einen Herzinfarkt häufig und der Herzmuskel nimmt weniger Schaden, weil man schneller reagiert. Betroffene bekommen Stents und gute Medikamente, um die Herzinfarktrate zu senken. Dieses Jahr werden wir beispielsweise knapp 2000 Herzkatheteruntersuchungen und -eingriffe machen. Das sind 15 bis 20 Prozent mehr als letztes Jahr.
Womit wir beim Spezialgebiet von Dr. Franzen sind: der katheterbasierten Herzklappentherapie. Sie sind Pionier auf diesem Gebiet und haben den ersten Kathetereingriff bei Mitralklappeninsuffizienz in Europa durchgeführt. Wann kommt dieses Verfahren zum Zug?
Olaf Franzen: Dieses Verfahren wird bei Patientinnen und Patienten mit einer Undichtigkeit der Mitralklappe angewendet –dem Bluteinlassventil der linken Herzkammer. Bei den Betroffenen sind die Klappensegel undicht oder es besteht eine sogenannte Dilatation, die die Segel auseinanderzieht. Dies führt zu einem teilweisen Rückfluss des Blutes in Richtung der Lunge. Als Folge muss das Herz härter arbeiten, um seine Pumpfunktion aufrechtzuerhalten, was sich oft in Atemnot äussert. Durch das Einsetzen eines sogenannten MitraClips kann die Undichtigkeit in den meisten Fällen effektiv behoben werden.
Ist die Undichtigkeit der Herzklappe gefährlich?
OF: Eine ausgeprägte Mitralklappeninsuffizienz kann schwerwiegende Konsequenzen haben, darunter Herzschwäche (Herzinsuffizienz) mit chronischer oder akuter Lungenüberlastung (Lungenödem), Vorhofflimmern und sogar ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle. Daher kann die Undichtigkeit lebensbedrohlich sein, wenn keine angemessene Behandlung erfolgt.
Was sind Ursachen und Risikofaktoren?
OF: Ursache ist eine Herzschwäche, zum Beispiel aufgrund eines Herzinfarkts. Risikofaktoren sind z. B. eine Bindegewebeschwäche, Abnutzungen der Klappensegel oder Risikofaktoren, die auch für eine Herzschwäche gelten, etwa verengte Herzkranzgefässe.
Früher hat man die Undichtigkeit mit einer OP am offenen Herz behoben. Wieso das neue Verfahren?
OF: Viele Betroffene, bei denen eine Operation aufgrund von schwerer Krankheit, hohem Alter oder körperlicher Fragilität nicht in Frage kam, können jetzt mittels Kathetereingriff behandelt werden. Dieser Ansatz ist wesentlich schonender als eine Operation. Nach Abzug des Ein- und Austrittstages müssen die Patientinnen und Patienten lediglich drei Tage im Krankenhaus verbringen, während bei einer Operation der Aufenthalt sicherlich sieben Tage dauert und eine grosse Brustwunde zur Folge hat. Bei der Anwendung des MitraClips wird nur die Leiste punktiert und der Eingriff ist schmerzfrei.
Wieso werden nur Risikopatientinnen und -patienten so behandelt?
OF: Derzeit ist die Standardbehandlung immer noch die Operation. Studien haben gezeigt, dass diese zwar mit einem höheren Risiko verbunden ist, aber im Durchschnitt weniger Undichtigkeit zurückbleibt. Auch ist nicht jede Herzklappe anatomisch geeignet für die Verwendung eines Clips. Dennoch können die meisten Patientinnen und Patienten, die eine schonende Behandlung benötigen, erfolgreich mit der Kathetermethode behandelt werden.
LH: Es ist wichtig, im Team mit den verschiedenen Fachpersonen und der Hausärztin oder dem Hausarzt, der die Patientin oder den Patienten kennt, die Evaluation durchzuführen. Die Kathetermethode ist eine Möglichkeit neben Medikamenten und anderen Behandlungsmöglichkeiten, die wir haben. Jeder Betroffene hat eine andere Krankengeschichte, die zur undichten Klappe geführt hat. Deshalb braucht es einen individuellen Plan. Die Klappenkorrektur ist ein wichtiger Teil davon.
KSA bildet Kardiologinnen und Kardiologen aus
Die Kardiologie am Kantonsspital Aarau ist seit 2022 eine Weiterbildungsstätte der Kategorie A. Dabei handelt es sich um die höchste Anerkennung einer medizinischen Weiterbildungsstätte, an der Ärztinnen und Ärzte einen Teil ihrer Weiterbildung zur Fachärztin oder zum Facharzt absolvieren können. Diesen Status haben in der Schweiz sonst nur die Unispitäler Basel, Bern und Zürich. Das bietet auch Vorteile für die Patientinnen und Patienten, da die Abteilung immer auf dem neusten Stand ist.
Seit wann gibt es diese Möglichkeit?
OF: In Europa habe ich den ersten Eingriff durchgeführt, das war 2009 in Hamburg. Seither habe ich weltweit rund 1000 Betroffene so behandelt, von Hong Kong bis Amerika.
LH: Dr. Olaf Franzen ist ein Pionier der ersten Stunde. Die Methode kam aus den USA, und er hat sie an grossen Zentren in Europa mit- und weiterentwickelt. Vorher konnten wir Betroffene nicht behandeln, wenn das Risiko einer OP den Nutzen aufwog. Nun können wir die schonende Option ohne offenen Herzeingriff anbieten.
Wird diese Art des Eingriffes bald zur Standardbehandlung?
OF: Diese Behandlung ist komplexer als andere Kathetereingriffe. Zudem ist das Ergebnis stärker abhängig von der Untersuchungsperson. Deshalb wird der Kathetereingriff bei Mitralklappeninsuffizienz auf absehbare Zeit noch nicht zum Standard werden.
LH: Für die Beurteilung des Betroffenen braucht es eine sehr gute Bildgebung. Sie ist die Grundlage für die richtige Therapieauswahl und das gute Resultat. Der Behandlungserfolg bei der Mitralklappe ist stark abhängig von der Fachperson. Da wir nun mit Dr. Olaf Franzen einen Top-Experten haben, einen «Crack» für die Katheterbehandlung mit dem MitraClip, werden wir auch mehr Patientinnen und Patienten behandeln können. Denn die Personen, die in unserem Einzugsgebiet solche Eingriffe brauchen, sind da.
Kontakt: kardiologie@ksa.ch; 062 838 44 91
Infoveranstaltung Organspende und Transplantation
Das KSA Aarau lädt am 20. September 2023 zum öffentlichen Infoanlass über das Thema Organspende und Transplantation ein. An dieser von Swisstransplant unterstützten Veranstaltung werden neben spannenden Referaten und einer Podiumsdiskussion gratis Kreatinin-Bluttests angeboten, um die Nierenfunktion zu beurteilen.
Datum: 20. September 2023
Uhrzeit: 19 bis 21 Uhr
Ort: Hörsaal, Haus 1, Kantonsspital Aarau
Eintritt frei, inklusive Apéro